Esoterische Analyse der Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreutz anno 1459 von Jan van Rijckenborgh.
Am zweiten von sieben Tagen der Alchimischen Hochzeit steht die Reise zum Schloss im Mittelpunkt. Hier lesen Sie den Urtext des zweiten Tages aus dem Einweihungsroman von Johann Valentin Andreae (1616). Innerhalb des Textes finden Sie ausgewählte Kommentare aus der esoterischen Analyse von Jan van Rijckenborgh sowie Links zu weiterführenden Artikeln, die von Schülern des Lectorium Rosicrucianum verfasst wurden.
Um dem Online-Leser die Orientierung zu erleichtern, wurden in den Urtext Zwischenüberschriften eingefügt.
Die Buchausgabe in zwei Bänden mit der vollständigen esoterischen Analyse ist erschienen bei:
Rozekruis Pers – Haarlem – Niederlande
Teil 1: Dritte, überarbeitete Ausgabe 1997
Teil 2: Zweite, überarbeitete Ausgabe 1991
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieser Texte und Bilder darf in irgendeiner Form durch Druck, Photokopie, elektronische Medien oder irgendein anderes Verfahren ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages reproduziert werden.
Kaum war ich aus meiner Zelle hinaus in den Wald gekommen, da schien es mir, als hätten sich der ganze Himmel und alle Elemente für diese Hochzeit geschmückt. Denn auch die Vögel sangen nach meinem Gefühl lieblicher als vorher, und die jungen Hirschlein sprangen so fröhlich umher, dass sie mein altes Herz erfreuten und zum Singen drängten.
So fing ich mit lauter Stimme zu singen an:
Freu dich, du liebes Vögelein.
Deinen Schöpfer hoch zu loben,
erheb' dein' Stimm' nun hell und rein,
dein Gott ist hoch erhoben.
Deine Speise hat er zubereit'
und gibt sie dir zu rechter Zeit,
daran lass dir genügen.
Was solltest du mißmutig sein,
wie solltest Gott du zürnen,
dass er dich ließ ein Vöglein sein.
Willst das Köpflein dir verwirren,
dass er dich nicht als Mensch gemacht?
Oh, schweig, er hat es gut bedacht,
daran lass dir genügen.
Was tu ich armer Erdenwurm,
sollt' ich mit Gott wohl rechten?
Dass ich so in den Himmel stürm',
um mit Gewalt die große Kunst erfechten?
Gott lässt sich doch nicht zwingen,
wer hier nicht taugt, der geh' davon.
O Mensch, lass es dich genügen.
Dass er dich nicht zum Kaiser macht',
ach, lass es dich nicht kränken.
Hättest vielleicht seinen Namen veracht',
drum hatte er Bedenken:
Gottes Augen heller sind,
er sieht dir bis ins Herz hinein,
Gott kannst du nicht betrügen.
So sang ich aus meines Herzens Grund, so dass es überall durch denWald schallte und der Berg mir die letzten Worte zurückwarf. Endlich sah ich eine schöne grüne Heide. Ich verließ den Wald und begab mich dorthin. Auf dieser Heide standen drei schöne hohe Zedern, welche durch ihre Breite einen herrlichen und willkommenen Schatten boten, worüber ich mich sehr freute. Denn obwohl ich noch nicht weit gegangen war, ermüdete mich doch das große Verlangen. Daher eilte ich auf die Bäume zu, um darunter ein wenig zu ruhen.
Kommentar 7: Die Bedeutung der drei Zedern
Was symbolisieren diese drei Zedern? Wir wissen, dass der Tempel Salomos aus Zedernholz erbaut wurde. Zedernholz spielt in der Bibel eine große Rolle. Es ist der Ausdruck des schönsten, edelsten, stärksten Materials, das für ein Bauwerk gebraucht werden kann. Die drei Zedern auf der grünen Ebene der Hoffnung bilden denn auch ein Heiligtum, ein inneres Heiligtum. ... In diesem inneren Heiligtum kann die Gnosis wohnen; dieses Heiligtum kann sie gebrauchen. Da er sich darauf konzentriert, findet C.R.C. am Beginn seiner Reise die Tabella Mercurialis, die Tafel mit den Anweisungen, das heißt, die in ihm sprechende neue Einsicht. Die Stimme der Seele gibt ihm Anweisungen, die mit den Worten beginnen:» Gott behüte dich, Gast! Du hast von dem Pfad gehört, du bist vom König eingeladen. Richte nun deine Aufmerksamkeit auf die vier Wege. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 1, S. 103)
Als ich aber näher kam, erblickte ich eine kleine Tafel, die an einem der Bäume befestigt war. Darauf standen, wie ich später feststellte, in zierlichen Buchstaben folgende Worte geschrieben:
Gott behüte dich, Gast!
Sollte dir jemals die Nachricht
von des Königs Hochzeit
zu Ohren gekommen sein,
so erwäge die folgenden Worte:
Vier Wege gibt es,
die der Bräutigam dir
durch uns zur Wahl anbietet.
Auf allen vier Wegen kannst du
des Königs Schloss erreichen,
aber nur dann,
wenn du dich nicht auf Abwege verirrst.
Der erste ist kurz, aber gefährlich;
denn er ist voll hoher Felsen,
an denen du nur mit Mühe
vorbeikommen kannst.
Der zweite ist länger,
weil er dich über Umwege,
jedoch bestimmt nicht auf Abwege führt.
Er ist eben und bequem zu gehen,
wenn du dich mit Hilfe des Kompasses
weder nach links noch nach rechts
ablenken lässt.
Der dritte ist der wahrhaft königliche Weg,
auf dem deine Reise durch
verschiedene fürstliche Wohltaten
und Schauspiele verschönert wird.
Allerdings ist er bis heute
kaum einem unter Tausenden geglückt.
Auf dem vierten Weg
ist es keinem Sterblichen möglich,
das Ziel zu erreichen;
denn er ist von verzehrender Kraft,
und nur unvergängliche Körper
können ihn durchstehen.
So wähle denn,
welchen von den drei Wegen du betreten willst,
und weiche dann nicht mehr davon ab.
Wisse jedoch, dass der Weg, den du betreten wirst,
dir durch das unabweisbare Schicksal vorbestimmt ist.
Ferner ist es dir bei größter Gefahr für dein Leben verboten,
auch nur einen Schritt zurückzugehen.
Das ist es, was wir dich wissen lassen wollen.
Schlägst du diese ernste Warnung in den Wind,
dann wirst du inmitten der größten Gefahren
deinen Weg gehen.
Wenn du dich aber auch nur des kleinsten Vergehens
gegen die Gesetze unseres Königs schuldig weißt,
dann kehre lieber um, solange es noch möglich ist,
und eile auf demselben Weg,
auf dem du gekommen bist, nach Hause zurück.
Sobald ich nun diese Schrift gelesen hatte, war all meine Freude schon wieder dahin, und ich begann bitterlich zu weinen, obwohl ich doch zuvor so fröhlich gesungen hatte. Wohl sah ich alle drei Wege vor mir und wusste auch, dass es mir zu gegebener Zeit erlaubt würde, einen der Wege zu erwählen. Aber ich fürchtete mich davor, auf den steinigen und felsigen Weg zu geraten, auf dem ich jämmerlich zu Tode fallen könnte. Oder wenn mir der lange Weg zuteil würde, könnte ich mich entweder auf Abwege verirren oder auf andere Weise auf der weiten Reise verunglücken. Auch durfte ich nicht hoffen, dass ich unter Tausenden gerade derjenige sein sollte, der den königlichen Weg erwählen könnte. Den vierten sah ich ebenfalls vor mir, aber er war dermaßen von Feuer und Rauch umgeben, dass ich mich ihm nicht zu nähern wagte.
Ich überlegte also hin und her, ob ich wieder umkehren oder einen der Wege für mich wählen sollte. Ich bedachte wohl meine Unwürdigkeit, aber gleichzeitig tröstete mich der Traum, in dem ich aus dem Turm befreit worden war. Und doch durfte ich mich nicht einfach auf einen Traum verlassen, daher überlegte ich so lange hin und her, bis ich vor großer Erschöpfung hungrig und durstig wurde.
Deswegen zog ich mein Brot hervor und schnitt es in Stücke. Das sah eine schneeweiße Taube, die auf dem Baum saß, die ich jedoch nicht wahrgenommen hatte und die jetzt, vielleicht aus Gewohnheit, herunterflog und ganz zutraulich zu mir kam, so dass ich mein Brot gern mit ihr teilte. Sie nahm es auch an und erquickte mich ein wenig durch ihre Schönheit. Sobald es aber ihr Feind, ein schwarzer Rabe, gesehen hatte, schoss er auf die Taube zu. Und da er nicht mein Brot, sondern das der Taube nehmen wollte, konnte diese sich nur durch die Flucht retten.
Daher flogen sie zusammen in die Richtung gen Mittag, was mich dermaßen erzürnte und betrübte, dass ich aus Unbedacht dem frechen Raben nacheilte und so wider meinen Willen fast eine Ackerlänge weit auf einem der beschriebenen Wege entlanglief, den Raben vertrieb und die Taube erlöste.
Da erst merkte ich, dass ich unbesonnen gehandelt hatte und bereits auf einen Weg geraten war, von dem ich – unter Gefahr großer Strafe – nicht mehr abweichen durfte. Und obwohl ich mich noch einigermaßen hätte trösten können, bedauerte ich am meisten, dass ich mein Säckchen mit Brot beim Baum gelassen hatte und es nicht mehr holen konnte. Denn sobald ich mich umkehrte, wehte mir ein so starker Wind entgegen, dass er mich beinahe umwarf. Ging ich jedoch auf dem Weg weiter, so merkte ich absolut nichts.
Daraus konnte ich leicht schließen, dass es mich das Leben kosten würde, wenn ich mich gegen den Wind kehren wollte. Deshalb nahm ich mein Kreuz geduldig auf mich, begab mich auf den Weg und beschloss, da es doch so sein musste, alles zu tun, um noch vor der Nacht anzukommen.
Da sich nun mancher Seitenweg zeigte, nahm ich stets meinen Kompass heraus und wollte von der Mittagslinie keinen Schritt abweichen, obwohl der Weg manchmal so rau und ungebahnt war, dass ich nicht wenig an ihm zweifelte. Unterwegs dachte ich fortwährend über die Taube und den Raben nach und konnte doch nicht erraten, was sie bedeuteten.
Kommentar 8: Der königliche Pfad ist unser Weg
Die moderne Geistesschule passt sich völlig dem dritten Pfad an, dem königlichen Pfad; denn der zweite und der vierte Weg sind ausgeschlossen, während der erste Pfad nur für Wenige gilt. So sind Sie, wenn Sie Schüler dieser Schule sind, ebenso wie C.R.C. dabei, sich auf den Weg zum Einweihungstempel, zum Hochzeitssaal, zu begeben. Vor seiner Wahl stehend, verlangt C.R.C. nach der Lösung und appelliert an seinen inneren Besitz, an seine inneren Werte. Er isst von diesem Brot und teilt es mit der weißen Taube. Aber sofort ist auch der schwarze Rabe da. Wenn ein Kandidat sich auf der Reise zur alchimischen Hochzeit befindet, sprechen immer zwei Stimmen in ihm: die Stimmen der beiden Naturen. Die sich erneuernde Seelennatur spricht aus der Gnosis, die alte Natur spricht aus dem dialektischen Ich. Diese beiden befinden sich immer miteinander im Konflikt. Es ist unmöglich, sie miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Der Streit zwischen beiden wird andauern, bis die alte Natur untergegangen ist. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 1, S. 108)
Schließlich erblickte ich von weitem auf einem hohen Berg ein schönes Portal, auf das ich dann zueilte, obwohl es weit, sehr weit vom Weg ab lag. Denn die Sonne war bereits hinter dem Berg verschwunden, und ich hätte sonst nirgendwo eine Unterkunft finden können. Und das schreibe ich allein Gott zu, der mich auch auf diesem Weg hätte weitergehen lassen und meine Augen mit Blindheit schlagen können, so dass ich das Portal übersehen hätte.
Ich eilte nun, wie gesagt, hastig darauf zu, erreichte es noch bei Tageslicht und konnte es einigermaßen in Augenschein nehmen. Es war ein außergewöhnlich schönes und königliches Portal, mit vielen herrlichen Bildern und Zeichen geschmückt, die alle, wie ich später erfuhr, ihre besondere Bedeutung hatten.
Ganz oben war eine ziemlich große Tafel angebracht mit den Worten: »Weichet, weichet von hier, ihr Unwürdigen!« und anderes mehr, was mir zu erzählen streng verboten ist.
Sobald ich nun das Portal erreicht hatte, trat jemand in einem himmelblauen Kleid hervor, den ich freundlich begrüßte. Er bedankte sich dafür, forderte aber sofort meinen Einladungsbrief von mir. Oh, wie froh war ich da, dass ich ihn mitgenommen hatte! Wie leicht hätte ich ihn vergessen können, wie es nach seiner Aussage anderen passiert war. Ich zeigte ihm den Brief, weswegen er nicht nur zufrieden war, sondern mich noch sehr ehrte, worüber ich mich wunderte. Er sagte: »Geht hinein, mein Bruder, ein lieber Gast seid Ihr mir.«
Dann bat er um meinen Namen, und als ich ihm antwortete, ich wäre der Bruder des Roten Rosenkreuzes, verwunderte er sich und war zugleich erfreut. Dann fragte er: »Mein Bruder, habt Ihr nicht so viel bei Euch, dass Ihr ein Zeichen kaufen könnt?« Ich antwortete, dass mein Vermögen gering sei, wenn er aber etwas an mir sähe, das ihm gefalle, dann möge er es nehmen. Als er dann mein Fläschchen Wasser erbat und ich einwilligte, gab er mir dafür ein goldenes Siegel, auf dem nur zwei Buchstaben standen: S. C. (Spes Charitas: Hoffnung und Liebe). Er ermahnte mich, dass es gut für mich sei, wenn ich seiner gedächte. Darauf fragte ich ihn, wie viele bereits vor mir hereingekommen wären; was er mir auch berichtete. Schließlich gab er mir aus lauter Freundschaft einen versiegelten Brief für den anderen Hüter.
Als ich mich nun etwas länger bei ihm aufhielt, brach die Nacht herein. Daher wurde auf der Pforte eine große Pechpfanne angezündet, damit jeder, der sich noch auf dem Weg befinden mochte, herbeieilen konnte. Der Weg aber, der unmittelbar zum Schloss führte, war an beiden Seiten von Mauern umschlossen und mit schönen fruchttragenden Bäumen von verschiedener Art bepflanzt. Auch standen immer drei Bäume an beiden Seiten, an denen Laternen angebracht waren; darin waren bereits alle Lichter von einer schönen Jungfrau in einem ebenfalls blauen Gewand mit einer herrlichen Fackel angezündet worden. Das war so herrlich und meisterlich anzusehen, dass ich mich etwas länger als notwendig aufhielt.
Nachdem ich jedoch ausreichende Mitteilungen und nützliche Instruktionen erhalten hatte, nahm ich freundlich vom ersten Hüter Abschied. Auf dem Weg hätte ich gern gewusst, was in meinem Brieflein stand. Weil ich aber dem Torhüter nichts Böses zutrauen durfte, musste ich meine Neugier bezähmen und meinen Weg fortsetzen, bis ich auch das andere Portal erreichte. Es war dem ersten fast gleich, nur mit anderen Bildern und geheimnisvollen Zeichen verziert. Auf der daran angebrachten Tafel stand: Date et dabitur vobis (Gebt, und euch wird gegeben werden)!
Unter diesem Tor lag ein grausamer Löwe an einer Kette, der sich, sobald er mich erblickte, aufrichtete und mich mit lautem Gebrüll erwartete. Davon erwachte der andere Torhüter, der auf einem Marmorstein gelegen hatte, und hieß mich, ohne Sorge und Furcht zu sein. Darauf trieb er den Löwen hinter sich, nahm den Brief in Empfang, den ich ihm zitternd reichte, las ihn und sprach mit großer Ehrerbietung zu mir: »Nun sei mir Gott willkommen, der Mensch, den ich längst gern gesehen hätte.«
Während dessen zog er ein Siegel hervor und fragte mich, ob ich es einlösen könne. Weil ich aber nichts mehr hatte als mein Salz, bot ich ihm das an, welches er dankend annahm. Auf diesem Siegel standen auch nur zwei Buchstaben, nämlich S. M. (das Mineralsalz; das reinigende Salz).
Als ich nun mit ihm sprechen wollte, begann man im Schloss zu läuten, worauf mich der Torhüter ermahnte, ich sollte mich beeilen, sonst wäre alle meine Mühe und Arbeit vergebens, denn man begänne oben bereits, die Lichter auszulöschen. Das tat ich dann auch so schnell, dass ich den Torhüter nicht beachtete, so angst war mir, und zwar mit Recht. Denn ich konnte nicht so schnell laufen, dass mich die Jungfrau nicht eingeholt hätte. Da hinter ihr alle Lichter gelöscht wurden, hätte ich auch den Weg niemals gefunden, wenn sie mir nicht mit ihrer Fackel geleuchtet hätte.
Nur mit knapper Not konnte ich neben ihr hineinschlüpfen; denn das Tor wurde so schnell zugeschlagen, dass ein Zipfel meines Rockes dazwischen geriet. Den musste ich dort lassen, denn weder ich noch jene, die vor der Tür draußen riefen, konnten den Torhüter dazu bringen, wieder zu öffnen. Er sagte, er habe die Schlüssel der Jungfrau gegeben, die sie mit in den Hof genommen hätte.
Kommentar 9: Die Bedeutung der Jungfrau
Es gibt keinen Menschen, der den Pfad der Rückkehr, den Weg aus der dialektischen Versunkenheit zurück in das Reich vom Anfang beschreitet, dem dieser Aufstieg glänzend gelingt. Der verlorene Sohn, der zum Vater zurückkehrt, ist schuldbewusst, voller Reue, ein Mensch, der seine eigene Unwichtigheit und Ohnmacht einsieht und weiß, dass er nur in der Kraft dessen, der uns vorangegangen ist, in der Kraft des Christus, seine mühsame Wanderung sicher vollbringen kann. C.R.C. erkennt daher auch unumwunden an, dass er den Weg niemals gefunden hätte, wenn die Jungfrau, das ihn begleitende Licht, nicht bei ihm gewesen wäre. (S. 140)
Inzwischen besah ich nochmals das Portal. Es war so köstlich, dass seinesgleichen in der ganzen Welt nicht mehr zu finden ist. Neben der Tür waren zwei Säulen. Auf der einen Seite war ein fröhliches Bild mit der Inschrift: Congratulor. (Ich freue mich mit dir). Das andere Bild zeigte ein verhülltes Angesicht, war traurig, und darunter stand: Condoleo (Ich leide mit dir). Kurzum, es waren so dunkle und verborgene Sprüche und Bilder daran, dass die Gescheitesten der Erde sie nicht auslegen könnten. Sie sollen aber alle, so Gott es zulässt, in Kürze von mir ans Tageslicht gebracht und erklärt werden.
Bei diesem Portal musste ich abermals meinen Namen angeben. Er wurde als letzter in ein Pergamentbüchlein eingetragen und dieses mit anderen dem Bräutigam zugesandt. Dann wurde mir erst das rechte Gastzeichen gegeben. Es war etwas kleiner als die anderen, aber viel schwerer. Auf diesem standen die Buchstaben S. P. N. A. (bei der Hochzeit Gast des Bräutigams)
Außerdem gab man mir ein Paar neue Schuhe, denn der Boden des Schlosses war aus lauter hellem Marmor. Meine alten Schuhe durfte ich einem der Armen geben, die häufig sehr ordentlich am Tor saßen. Ich schenkte sie einem alten Mann. Darauf führten mich zwei Knaben mit Fackeln in ein kleines Gemach. Dort musste ich mich auf eine Bank setzen, was ich auch tat. Sie steckten die Fackeln in zwei Löcher im Boden und gingen davon, ließen mich also allein sitzen.
Bald darauf hörte ich ein Geräusch, sah aber nichts. Es waren einige Männer, die über mich herfielen. Weil ich aber nichts sehen konnte, musste ich es geschehen lassen und wartete ab, was sie mit mir anfangen würden. Da ich aber bald merkte, dass es Barbiere waren, bat ich sie, mich nicht so festzuhalten, ich wäre doch willig zu tun, was sie begehrten. Darauf ließen sie mich los, und einer von ihnen, den ich nicht sehen konnte, schor mir fein säuberlich das Haar mitten auf dem Kopf weg, ließ aber an meiner Stirn, neben meinen Augen und Ohren die langen grauen Locken hängen.
Ich muss bekennen, dass ich bei diesem ersten Angriff fast verzagte, denn weil einige von ihnen mich so stark festhielten und ich nichts sehen konnte, meinte ich, Gott hätte mich wegen meiner Unbescheidenheit fallengelassen. Die unsichtbaren Barbiere lasen das abgeschnittene Haar sorgfältig auf und trugen es mit sich fort.
Kommentar 10: Die Bedeutung der unsichtbaren Barbiere
Die mächtige zweifache Kraft, die ihn überwältigt, erkennt er nicht sofort und kann sie nicht direkt harmonisch verarbeiten. Sie stürzt sich auf ihn, in ihn, und ihr Licht blendet ihn zuerst, so dass er sich im Finstern wähnt. Es durchstrahlt sein Hauptheiligtum, umkreist es in mächtigen, anhaltenden Vibrationen und reinigt die Ätherströme, die durch das Haupthaar gerade da nach außen treten, wo unter dem Schädeldach »der Hügel Golgatha« liegt, wo später während des Hochzeitsfestes die göttliche Alchimie ihre Verwandlungsarbeit verrichten wird. Aber schnell erholt sich C.R.C. wieder von seiner anfänglichen Verwirrung; denn die ihm dienenden Lichtkräfte, die in der Erzählung immer als Pagen auftreten, sind bei ihm und erklären ihm, dass für Furcht absolut kein Grund bestand. Im Gegenteil! Und dann ist er bereit, in den Tempel der Einweihung einzutreten. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 1, S. 145)
Darauf stellten sich die beiden Knaben wieder ein und lachten herzlich über mich, weil ich so ängstlich gewesen war. Als sie aber kaum einige Worte mit mir geredet hatten, begann man wieder, mit einem kleinen Glöckchen zu läuten, als Zeichen, uns zu versammeln, wie mir die Knaben sagten. Sie forderten mich auf, ihnen zu folgen, und leuchteten mir durch viele Gänge und Türen und über viele Wendeltreppen voran bis in einen großen Saal.
In diesem Saal war eine große Menge Gäste versammelt: Kaiser, Könige, Fürsten und Herren, Edle und Bürger, Reiche und Arme und allerlei Gesindel, über das ich mich sehr wunderte und bei mir selbst dachte: »Ach, was bist du für ein großer Narr gewesen, dass du dir diese Reise so bitter und sauer hast werden lassen. Sitzen da doch Gesellen, die du gut kennst und von denen du niemals etwas gehalten hast. Die sind nun alle hier, während du mit all deinem Bitten und Beten kaum noch als Letzter hineingekommen bist!« Dieses und anderes mehr gab mir der Teufel damals ein, dem ich doch, so gut ich konnte, den Ausgang gewiesen hatte.
Unterdessen sprach mich der eine oder andere meiner Bekannten an: »Siehe da, Bruder Rosenkreuz, bist auch du hier?« »Ja, meine Brüder«, antwortete ich, »Gottes Gnade hat mir auch geholfen, hierher zu kommen«, worüber sie sehr lachten und es albern fanden, in so unbedeutenden Sachen Gottes Hilfe zu bedürfen.
Als ich nun jeden von ihnen über seinen Weg befragte – die meisten hatten über die Felsen klettern müssen –, begann man mit etlichen Trompeten, von denen wir aber keine sahen, zu Tisch zu blasen.
Lesen Sie auf der nächsen Seite:
Wie Christian Rosenkreuz die Possenreißer beim Festmahl erlebt
Darauf setzten wir uns zu Tisch, jeder nach seinem Gutdünken so hoch, wie er sich über die anderen erhaben fühlte. Dadurch blieb mir und einigen anderen armen Gesellen kaum ein Plätzchen am untersten Ende des Tisches übrig. Bald darauf kamen die beiden Knaben wieder herein, und einer von ihnen sprach so schöne und herrliche Gebete, dass sich mein Herz im Leib erfreute. Einige große Herren achteten jedoch wenig darauf, sondern lachten und winkten einander zu, bissen in ihre Hüte und trieben mehr dergleichen alberne Späße. Danach wurde das Essen aufgetragen, und obwohl man keinen Menschen sah, wurden doch alle so gut versorgt, dass ich dachte, es hätte jeder Gast seinen eigenen Diener.
Als sich die Possenreißer ein wenig gelabt und der Wein ihnen die Hemmungen genommen hatte, begannen sie zu prahlen und sich zu brüsten. Der eine wollte dieses probieren und der andere jenes. Und die unnützen Tröpfe waren die Lautesten. Ach, wenn ich daran denke, was für übernatürliche und unmögliche Dinge ich damals gehört habe, könnte ich mich noch darüber ärgern. Schließlich blieben sie auch nicht mehr auf ihren Plätzen, sondern es schlich sich nun bald hier, bald da ein Schwätzer bei den Herren ein. Sie rühmten sich solcher Taten, die weder Samson noch Herkules mit all ihrer Stärke hätten zuwege bringen können. Der eine wollte Atlas von seiner Last befreien. Ein anderer wollte den dreiköpfigen Zerberus wieder aus der Hölle holen. Kurzum, jeder schwätzte nur so darauflos.
Die großen Herren waren noch so närrisch, ihnen zu glauben, und die Bösewichter wurden schließlich so verwegen, dass sie, obwohl ihnen von Zeit zu Zeit mit dem Messer auf die Finger geklopft wurde, sich nicht daran kehrten, sondern als einer eine goldene Kette erwischt hatte, wollten sie es alle versuchen. Ich sah einen, der hörte den Himmel rauschen. Ein anderer behauptete, Platos Ideen zu sehen. Und ein Dritter wollte die Atome des Demokrit zählen. Nicht wenige hatten das Perpetuum mobile erfunden. Mir schien, dass mancher von ihnen einen guten Verstand hatte, aber er traute ihm zu seinem Verderben zuviel zu. Schließlich war einer da, der wollte uns einreden, er sähe die Diener, die uns aufwarteten. Er hätte seine Aufschneiderei auch noch weitergetrieben, wenn ihm nicht einer der unsichtbaren Diener einen so tüchtigen Schlag auf sein verlogenes Mundwerk gegeben hätte, dass nicht nur er, sondern auch viele neben ihm wie die Mäuslein schwiegen.
Am besten aber gefiel mir, dass alle, von denen ich etwas gehalten hatte, in ihrem Tun und Lassen tadellos und still blieben, nicht laut sprachen, sondern sich als unverständige Menschen erkannten, denen das Geheimnis der Natur zu hoch und sie selbst viel zu gering waren.
Bei all diesem Tumult hätte ich beinahe den Tag, der mich hierher geführt hatte, verwünscht; denn ich musste mit Schmerzen sehen, dass lockere und leichtfertige Leute oben am Tisch saßen, während ich an meinem bescheidenen Platz nicht einmal in Frieden gelassen wurde, sondern dass mich einer dieser Bösewichte einen bunten Narren schalt. Ich wusste ja nicht, dass noch eine Pforte vorhanden war, durch die wir gehen mussten, sondern meinte, ich würde die ganze Hochzeit über so in Spott und Verachtung bleiben müssen, was ich doch weder um den Bräutigam noch um die Braut jemals verdient hatte. Dann sollten sie doch meinetwegen einen anderen Narren für diese Hochzeit aussuchen.
Seht, zu solcher Ungeduld verführt die Ungleichheit der Welt die einfältigen Herzen. Aber das war eigentlich ein Stück meines Hinkens, wovon ich, wie bereits berichtet, geträumt hatte. Das Geschrei nahm immer mehr zu. Da waren auch solche, die sich falscher und erdachter Visionen rühmten und uns von greulichen und erlogenen Träumen berichten wollten.
Es saß aber ein feiner, stiller Mann neben mir, der nur manchmal von feinen Dingen sprach. Schließlich sagte er: »Siehe, mein Bruder, wenn nun jemand käme, der solche verstockten Leute auf den rechten Weg bringen wollte, würde man auf ihn hören?« »Nein, sicher nicht!«, antwortete ich. »Die Welt will also mit Gewalt betrogen sein«, sagte er, »und sie mag die nicht hören, die es gut mit ihr meinen. Siehst du jenen Schwätzer dort? Mit welchen grillenhaften Figuren und närrischen Gedanken er andere an sich zieht. Dort hält einer die Leute mit unerhörten und geheimnisvollen Worten zum Narren. Doch glaube mir, es kommt die Zeit, da man diesem Mummenschanz die Masken abreißen und aller Welt zeigen wird, was für Volksbetrüger darunter verborgen waren. Dann wird vielleicht noch gelten, was man nicht geachtet hat.«
Während er so sprach und das Geschrei immer ärger wurde, erhob sich plötzlich in dem Saal eine so schöne und eindrucksvolle Musik, wie ich sie in meinem Leben niemals gehört habe. Daher schwieg jeder und wartete, was nun kommen würde. Es waren aber bei der Musik alle Saiteninstrumente, die man sich nur denken kann, vertreten und spielten so harmonisch zusammen, dass ich mich selbst vergaß und so unbeweglich sitzenblieb, dass alle, die neben mir saßen, sich wunderten.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, in der keiner von uns ein Wort sprach. Denn sobald einer seinen Mund öffnen wollte, erhielt er unversehens einen Schlag und wusste nicht, woher er kam. Da wir von den Musikanten nichts sehen konnten, dachte ich bei mir, wie gern ich all die Instrumente, die sie gebrauchten, ansehen würde. Nach einer halben Stunde hörte die Musik plötzlich auf, und wir konnten weiter nichts mehr sehen oder hören.
Bald darauf erhob sich vor der Tür des Saals ein lautes Getöse und das Schallen von Posaunen, Trompeten und Pauken, und zwar so meisterlich, als wollte der römische Kaiser einziehen. Die Tür öffnete sich von selbst, und der Posaunenschall wurde so laut, dass wir es kaum ertragen konnten.
Inzwischen kamen, wie es mir schien, viele tausend Lichtlein in den Saal, die alle in rechter Ordnung von selbst daherzogen, so dass wir ganz entsetzt waren, bis schließlich die bereits erwähnten beiden Knaben mit hellen Fackeln in den Saal traten und einer schönen Jungfrau voranleuchteten, die auf einem herrlichen, vergoldeten Triumphsessel saß, der sich von selbst fortbewegte. Mir kam es so vor, als wäre es die gleiche, die vorher auf dem Weg die Lichter angezündet und gelöscht hatte, und dass diese eben ihre Diener waren, die sie vorher neben die Bäume gestellt hatte. Sie war jetzt aber nicht wie zuvor in Blau gekleidet, sondern hatte ein schneeweißes, glänzendes Kleid angezogen, welches vor lauter Gold schimmerte und so strahlte, dass wir sie nicht anzuschauen wagten. Die beiden Knaben waren fast ebenso gekleidet, wenn auch etwas einfacher.
Kommentar 11: Selbsterkenntnis ist die erste Prüfung
Die Türen öffnen sich, und majestätisch, in vollkommener Harmonie und Makellosigkeit, strömt das Licht kraft seiner eigenen Gesetzmäßigkeit in liebevoller Dienstbereitschaft in den Tempelsaal ein und stellt die Kandidaten vor ihre erste einleitende Prüfung: »Habt ihr genügend Selbsterkenntnis? Wisst ihr euch innerlich genügend vorbereitet, um bald dem Bräutigam, dem Geist, zu begegnen und beim heiligen Fest sein Gast zu sein? Wisst ihr euch dessen würdig? (Jan van Rijckenborgh: Die Alchimische Hochzeit Band 1, S. 146)
Sobald sie nun in die Mitte des Saales gekommen war und von ihrem Sitz herabstieg, neigten sich alle Lichtlein vor ihr. Darauf erhoben wir uns alle von unseren Bänken, blieben aber doch jeder an seinem Platz. Nachdem sie sich vor uns und wir uns wieder vor ihr verneigt und wir einander alle Ehre erwiesen hatten, begann sie mit lieblicher Stimme so zu sprechen:
Der König, mein gnädigster Herr,
ist jetzt nicht mehr allzu fern,
wie auch seine allerliebste Braut,
die ihm in Ehren ist vertraut.
Sie haben mit großer Freude
eure Ankunft gesehen heute,
wollen auch jedem besonders
ihre Gnade entbieten jederzeit
und wünschen aus ihres Herzens Grund,
dass auch alles gelinge zu jeder Stund',
damit eure künftige Hochzeitsfreud'
nicht wird vermengt mit jemandes Leid.
Hierauf verneigte sie sich abermals höflich mit allen ihren Lichtlein und fuhr bald darauf also fort:
Ihr wisst, dass in dem Einladungsbrief
kein Mensch hierher entboten ist,
der nicht von Gott all die schönen Gaben
schon seit langem mag erhalten haben,
den nicht das Heilsverlangen ziert,
wie sich's in diesem Fall gebührt.
Da sie aber nicht glauben mögen,
es sei jemand so verwegen,
sich trotz der strengen Kondition
hier einzustellen wagte schon,
wenn er sich nicht seit langen Zeiten
ließ auf die Hochzeit vorbereiten,
bleiben sie in guter Hoffnung stehen,
wollen euch mit allem Guten versehen.
Es freut sie, dass in so schweren Zeiten
sich so viele für das Werk bereiten.
Und doch sind die Menschen so verwegen,
dass sie ihre Grobheit nicht überlegen
und sich zu Orten drängen hin,
zu denen sie nicht berufen sind.
Damit kein böser Bube sich hier verkaufe,
kein Schalk mit anderen unterlaufe,
und sie nun bald, wie sie es wollen,
eine reine Hochzeit haben sollen,
so wird am morgigen Tage
aufgestellt die große Waage.
Dann kann jeder leicht ermessen,
was er zu Hause hat vergessen.
Ist nun in dieser Schar ein Mann,
der darauf nicht vertrauen kann,
der gehe schnell beiseit',
denn wenn er jetzt noch länger bleibt,
hat er alle Gnad' verloren
und muss morgen unter die Sporen.
Bei wem nun das Gewissen erwacht,
der bleibt im Saale heute Nacht.
Bis morgen wird er frei sein
und komme nie wieder hier herein.
Wer jedoch weiß, was liegt hinter ihm,
der gehe mit seinem Diener hin,
der wird sein Gemach ihm weisen
und ihn gut ruhen heißen,
da er die Waage mit Ruhm erharrt,
sonst wird ihm das Schlafen hart.
Die anderen nutzen hier die Gelegenheit,
denn wer zuwider handelt seiner Fähigkeit,
für den wär' es besser, er wär' nicht mehr hier,
doch für alle das Beste erhoffen wir.
Nachdem die Jungfrau das ausgesprochen hatte, verneigte sie sich wieder und sprang mit Freuden auf ihren Thron. Darauf begannen die Trompeten wieder zu blasen, was jedoch mein schweres Seufzen nicht hemmen konnte. Unsichtbar wurden die Lichtlein wieder hinausgeleitet; die meisten blieben jedoch im Raum und gesellten sich zu uns, zu jedem von uns ein Lichtlein. Unsere Verwirrung war so groß, dass ich nicht ausdrücken kann, welche schweren Gedanken und Gebärden ausgetauscht wurden. Die meisten wollten jedoch das Wiegen abwarten und, wenn es nicht gut ablaufen sollte, in Frieden (wie sie hofften) davonziehen.
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Wie Christian Rosenkreuz eine Nacht in Fessln verbringt
Ich hatte mich bald besonnen, und da mich mein Gewissen von meinem Unverstand und meiner Unwürdigkeit überzeugte, nahm ich mir vor, mit den anderen im Saal zu bleiben und lieber mit der empfangenen Mahlzeit zufrieden zu sein, anstatt unter Gefahr eine künftige Niederlage abzuwarten.
Nachdem nun der eine dorthin und der andere hierhin von seinem Lichtlein in ein Gemach geführt worden war (jeder in ein eigenes, wie ich später erfuhr), blieben neun von uns zurück, unter anderem auch jener, der vorher am Tisch mit mir gesprochen hatte. Unsere Lichtlein aber verließen uns nicht. Ungefähr nach einer Stunde kam einer der erwähnten Knaben mit einem großen Bündel Stricke und fragte uns ernsthaft, ob wir entschlossen seien zu bleiben. Als wir das mit Seufzen bestätigten, band er jeden von uns an einem bestimmten Platz fest, entfernte sich danach mit unseren Lichtlein und ließ uns Arme im Finstern zurück.
Da begannen bei manchem die Tränen zu fließen, und auch ich konnte mich des Weinens nicht enthalten. Denn obwohl es uns nicht verboten worden war zu sprechen, ließen uns doch Schmerz und Betrübnis verstummen.
Die Stricke waren so merkwürdig, dass sie keiner aufschneiden oder vom Fuß lösen konnte. Auch tröstete es mich nicht, dass manchem, der sich jetzt zur Ruhe begeben hatte, noch große Schmach bevorstand, wir aber mit einer einzigen Nacht all unsere Vermessenheit abbüßen konnten. Endlich schlief ich bei meinen schweren Gedanken ein. Wenn auch die wenigsten unter uns die Augen schließen konnten, so konnte ich es wegen meiner großen Müdigkeit nicht verhindern.
Kommentar 12: Das Gefühl der Ohnmacht
C.R.C. fühlt sich dort völlig unwürdig, weil er im hellen Licht der Seele die eigene natürliche Art nur allzu gut erkennt und durchschaut, sich daher nichts einbildet und bei ihm aller Wahn gründlich ausgerottet ist. Der Zustand der Ichlosigkeit sorgt in diesem Menschen für eine große Selbsterkenntnis, die ihn einerseits die reine Erhabenheit der Welt des lebenden Seelenzustandes und andererseits die enorme Last der dialektischen Vergangenheit deutlich erkennen lässt. Trotzdem kann er sich nicht vom Eingangstempel lösen; denn er gehört hierher, nur weiß er es noch nicht. Dieser psychische Zustand verursacht das Gefühl, gekettet, ohnmächtig, unwürdig zu sein und doch nicht weggehen zu können. Darum bezeugen die Bibel und die Universelle Lehre: Wer das Licht erblickt und es begrüßt, fällt anfangs wie tot nieder. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 1, S. 159)
In diesem Schlaf hatte ich einen Traum, und obwohl er gewiss nicht viel zu bedeuten hat, halte ich es doch nicht für unnötig, ihn zu erzählen.
Mir war, ich stände auf einem hohen Berg, und vor mir sah ich ein großes und weites Tal. In diesem Tal war eine unsagbar große Menge Volk beieinander. Jeder der Menschen dort hatte einen Faden am Kopf, mit dem er am Himmel aufgehängt war. Der eine hing hoch, der andere niedrig, einige standen sogar noch auf der Erde.
In der Luft aber flog ein alter Mann umher, der hatte in der Hand eine Schere, mit der er hier und da einen der Fäden abschnitt. Wer nun noch nahe bei der Erde hing, der war schnell fertig und fiel ohne viel Lärm. Kam jedoch die Reihe an einen, der hoch hing, so fiel er so laut, dass die Erde erzitterte. Bei einigen dehnte sich ihr Faden so, dass sie die Erde erreichten, ehe sie abgeschnitten wurden.
An diesen Purzelbäumen hatte ich Vergnügen und freute mich von Herzen, wenn einer, der lange in der Luft mit seiner Hochzeit prahlte, so schändlich herunterfiel und von seinen Nachbarn noch etliche mitriss.
Auch freute es mich, wenn einer, der sich immer nahe bei der Erde gehalten hatte, so fein still davonkommen konnte, dass es auch seine Nächsten nicht merkten. Auf dem Höhepunkt meiner Freude aber wurde ich von einem meiner Mitgefangenen unversehens gestoßen, wodurch ich erwachte und es ihm übelnahm.
Doch dann dachte ich über meinen Traum nach und erzählte ihn meinem Bruder, der auf der anderen Seite neben mir lag. Er gefiel ihm sehr, und er hoffte, dass eine Hilfe darin verborgen sei.
Mit solchen Gesprächen verbrachten wir den Rest der Nacht und erwarteten sehnsüchtig den Tag.
Lesen Sie in Teil 3:
Der dritte Tag – Wie die Hochzeitsgäste mit sieben Gewichten gewogen werden