Esoterische Analyseder Chymischen HochzeitChristiani Rosencreutz anno 1459von Jan van Rijckenborgh
Tod und Neubeginn erlebt Christian Rosenkreuz am vierten von sieben Tagen der Alchimischen Hochzeit des Christian Rosenkreuz. Hier lesen Sie den Urtext des vierten Tages aus dem Einweihungsroman von Johann Valentin Andreae (1616). Innerhalb des Textes finden Sie ausgewählte Kommentare aus der esoterischen Analyse von Jan van Rijckenborgh sowie Links zu weiterführenden Artikeln, die von Schülern des Lectorium Rosicrucianum verfasst wurden.
Um dem Online-Leser die Orientierung zu erleichtern, wurden in den Urtext Zwischenüberschriften eingefügt.
Die Buchausgabe in zwei Bänden ist erschienen bei:
Rozekruis Pers – Haarlem – Niederlande
Teil 1: Dritte, überarbeitete Ausgabe 1997
Teil 2: Zweite, überarbeitete Ausgabe 1991
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieser Texte und Bilder darf in irgendeiner Form durch Druck, Photokopie, elektronische Medien oder irgendein anderes Verfahren ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages reproduziert werden.
Ich lag noch in meinem Bett und betrachtete gemächlich die herrlichen Bilder und Figuren, die rund herum in meinem Gemach waren. Plötzlich hörte ich Musik von Blasinstrumenten, als ob man bereits mit dem feierlichen Umzug begonnen hätte. Mein Knabe sprang aus dem Bett, als ob er von Sinnen wäre, sah auch einem Toten ähnlicher als einem Lebendigen. Wie mir zumute war, lässt sich leicht denken, denn er sagte, die anderen würden bereits dem König präsentiert.
Ich wusste nichts Besseres zu tun, als heiße Tränen zu vergießen und meine Faulheit zu verfluchen. Ich zog mich noch an, als mein Knabe längst fertig war und aus dem Gemach lief um zu sehen, wie die Dinge ständen. Er kam aber bald zurück und brachte die frohe Botschaft, dass noch nichts versäumt wäre, ich hätte nur das Frühstück verschlafen, und man hätte mich, meines Alters wegen, nicht wecken wollen. Jetzt aber sei es an der Zeit, mit ihm zum Brunnen zu gehen, wo die meisten bereits versammelt seien. Nach diesem Trost kehrte mein Geist zurück, ich war daher bald mit meiner Kutte fertig und folgte dem Knaben in den erwähnten Garten, zum Brunnen.
Nachdem wir uns gegenseitig begrüßt hatten und die Jungfrau mich wegen meiner Langschläferei verspottet hatte, führte sie mich an der Hand zum Brunnen. Dort entdeckte ich, dass der Löwe anstatt eines Schwertes eine ziemlich große Tafel trug. Als ich diese nun betrachtete, erkannte ich, dass sie aus den alten Monumenten genommen und zur besonderen Ehre hierher versetzt worden war. Die Schrift war durch das Alter etwas verwischt, ich will sie deshalb so, wie sie ist, hierher setzen, damit jeder darüber nachdenken kann:
Nach so vielen Krankheiten,
die das Menschengeschlecht erleiden musste,
fließe ich, Hermes, hier als Urquell,
auf den Ratschluss Gottes
mit dem Beistand der Künste
und der Medizin heilkräftig gemacht.
Wer es kann, trinke mich,
wer es will, wasche sich,
wer es wagt, trübe mich.
Trinket Brüder und lebet!
Diese Schrift war gut zu lesen und zu verstehen. Sie mag auch wohl deshalb hierher gesetzt worden sein, weil sie leichter als die anderen lesbar war.
Nachdem wir uns erst in dem Brunnen gewaschen und auch jeder mit seiner goldenen Schale daraus getrunken hatte, mussten wir der Jungfrau in den Saal folgen und dort neue Kleider anziehen. Diese waren ganz golden und herrlich mit Blumen verziert.
Es wurde auch jedem von uns ein Goldenes Vlies gegeben, das mit Edelsteinen besetzt war, von denen verschiedene Wirkungen ausgingen, je nach der wirksamen Kraft eines jeden. Daran hing ein schweres Goldstück, darauf Sonne und Mond, sich gegenüberstehend, abgebildet waren. Auf der anderen Seite aber stand dieser Spruch:
Des Mondes Schein wird sein
wie der Sonne Schein,
und der Sonne Schein
wird siebenmal heller sein
als jetzt.
Unser altes Geschmeide aber wurde in eine kleine Truhe gelegt und einem der Diener anvertraut.
Kommentar 24: Hermes ist der Urquell
Hier wird, vielleicht unerwarteterweise, die Herkunft allen Rosenkreuzertums und aller gnostischen Betrachtung genannt: Hermes ist der Urquell. Alle wirklich befreiende Weisheit, jede wahre Religion stammt von Hermes Trismegistos, dem dreimal Großen ... Wer war, oder besser: wer ist Hermes? Hermes ist der sich offenbarende Geist selbst, der Urquell, der jeden Menschen laben will. Aber, so heißt es weiter: So viel Schaden wurde dem menschlichen Geschlecht zugefügt! Dadurch ist der Quell für die Menschheit nicht mehr erreichbar ... Darum wird vom göttlichen Ratschluss gesprochen, nämlich der Menschheit eine Heilung bringende Kunst, die königliche Kunst, anzubieten, mit deren Hilfe der Urquell wieder für alle, die danach suchen und sich darin reinigen wollen, zugänglich werden kann, so dass die Wiederherstellung, die Genesung vollzogen werden kann. Wer diese reine Kunst ausübt und anwendet, kehrt dadurch zum Urquell zurück (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 2, S.8/9 und 24)
Danach führte uns die Jungfrau in unserer Ordnung hinaus. Vor der Tür warteten bereits die Musikanten, die alle in roten Samt mit weissen Borten gekleidet waren. Darauf wurde eine Tür, die ich vorher nie offen gesehen hatte, zur königlichen Wendeltreppe hin geöffnet. Dort führte uns die Jungfrau samt der Musik über dreihundertfünfundsechzig Stufen hinauf. Da sahen wir nichts, als lauter kostbare und kunstvolle Arbeiten. Je weiter wir gingen, um so herrlicher wurde die Zier, bis wir endlich ganz oben in ein ausgemaltes Gewölbe kamen. Dort warteten auf uns sechzig Jungfrauen, alle kostbar gekleidet. Sobald sie sich nun vor uns verneigt, und auch wir, so gut wir konnten, ihnen unsere Reverenz erwiesen hatten, verabschiedete man unsere Musikanten. Sie mussten wieder die Wendeltreppe hinunter, und die Tür wurde hinter ihnen geschlossen.
Darauf wurde eine kleine Glocke geläutet. Da trat eine schöne Jungfrau hervor, die jedem einen Lorbeerkranz brachte. Unserer Jungfrau aber wurde ein Lorbeerzweig gegeben. Inzwischen wurde ein Vorhang aufgezogen. Da erblickte ich den König und die Königin, die dort in ihrer ganzen Majestät sassen. Wenn mich die gestrige Königin nicht so getreu ermahnt hätte, hätte ich mich selbst vergessen und eine so unsagbare Herrlichkeit für den Himmel gehalten. Denn, abgesehen davon, dass der Saal vor lauter Gold und Edelsteinen glänzte, waren auch die Gewänder der Königin derart beschaffen, dass ich sie kaum ansehen konnte. Und wenn ich vorher etwas für schön gehalten hatte, so war hier alles, eines wie das andere, so hoch darüber erhaben wie die Sterne am Himmel.
Kommentar 25: Die Bedeutung des jungen Königspaares
Alle, die durch die besprochene Beschaffenheit ihrer Seele fähig sind, den Spiralenweg nach oben zu verwirklichen und so das Pinealiszentrum betreten können, beleben dadurch das mächtigste Wahrnehmungszentrum, das ein Mensch überhaupt besitzen kann ... Dort nun, in diesem so komplizierten, noch so völlig unbekannten System, wird der Kandidat mit der wesentlichen Kraft und Art der Königsschaft konfrontiert, mit der zentralen Berührung durch den Geist, so wie er im Sonnenmakrokosmos Ausdruck erhält. Diese Kraft hat deutlich zwei Wirkungen, zwei Ansichten: eine positive und eine negative, einen männlichen und einen weiblichen Aspekt. Die alchimische Hochzeit spricht von dem »König« und der »Königin«. Es ist die Zwillingskraft, die in so vielen Naturen auftritt und notwendig ist, weil die positive, männliche Ansicht ermöglichend und die negative, weibliche, gebärende Ansicht verwirklichend wirkt. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 2, S. 38)
Inzwischen trat die Jungfrau ein. Da nahm jede Jungfrau einen von uns an die Hand und präsentierte uns also mit hoher Reverenz dem König. Darauf begann die Jungfrau zu sprechen:
»Dass Eurer Königlichen Majestät zu Ehren die hier anwesenden Herren sich unter Gefahr für Leib und Leben hierher begeben haben, das hat Eure Majestät sicherlich erfreut, weil sie auch größtenteils geeignet sind, Eurer Majestät Königreich und Lande zu vergroßern, wie Ihr selbst bei jedem alsbald prüfen könnt. Hiermit möchte ich sie Eurer Majestät untertänigst präsentiert haben, mit der demütigen Bitte, mich meines Auftrags zu entbinden und von jedem Auskunft über mein Tun und Lassen allergnädigst zu verlangen.« Hiermit legte sie ihren Zweig auf den Boden.
Nun hätte es sich wohl gehört, dass einer von uns etwas darauf erwidert hätte. Da wir aber kein Wort über die Lippen brachten, trat schließlich der alte Atlas vor und sprach im Namen des Königs:
»Die Königlichen Majestäten freuen sich über Eure Ankunft und sagen allen ihre königliche Gnade zu. Mit deiner Verrichtung, liebe Jungfrau, sind sie auch allergnädigst zufrieden, daher soll dir auch eine königliche Ehrung vorbehalten sein. Es ist jedoch ihre Meinung, du solltest dich heute noch ihrer annehmen, denn sie wussten dir nichts Arges zuzutrauen.« Hierauf hob die Jungfrau demütig den Zweig wieder auf. Und nun mussten wir alle mit unserer Jungfrau erst einmal zurücktreten.
Dieser Saal war vorn viereckig und fünfmal so breit wie lang. Dem Ausgang zu aber hatte er einen großen Bogen, wie ein Tor. Darunter standen im Kreis drei herrliche, königliche Sitze. Aber der mittlere war etwas höher als die anderen. Auf jedem Sitz saßen zwei Personen. Auf dem ersten saß ein alter König mit grauem Bart, aber seine Gemahlin war überaus schön und jung. Auf dem dritten Sitz saß ein schwarzer König von mittleren Jahren. Neben diesem saß ein feines, altes Mütterchen, aber nicht gekrönt, sondern mit einem Schleier verhüllt. In der Mitte aber saßen zwei junge Menschen. Sie hatten zwar Lorbeerzweige auf ihren Häuptern, aber über ihnen hing eine große, kostbare Krone. Trotzdem waren sie nicht so schön, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Aber das musste so sein.
Kommentar 26: Die Bedeutung des schwarzen Königspaares
Es sprechen im stoffgeborenen Menschen zwei Naturen, zwei Stimmen: die Stimme des Guten und die Stimme des Bösen. Beide besitzen eine positive und eine negative Ansicht, einen männlichen und einen weiblichen Pol. Darum werden sie im Obersaal, im Hauptheiligtum, durch vier Gestalten symbolisiert: die beiden Könige mit ihren Gemahlinnen. Wenn wir den schwarzen König und seine Gemahlin »böse« nennen, müssen Sie diese Bezeichnung in gnostisch-philosophischem Sinn verstehen. Was ist böse? Nicht nur das Verbrecherische, Minderwertige und Schlechte ist böse. Im Sinn der Gnosis ist alles böse, was den körperlichen Menschen an den Nadir der Stofflichkeit bindet und will, dass er dort seine Bestimmung finde. Was ist gut? Im gleichen gnostisch-philosophischen Sinn ist alles gut, was der körperliche Mensch unternimmt, um im Nadir der Stofflichkeit – in dem seine Bestimmung nicht liegt – eine Lösung für ein mehr oder weniger tief empfundenes, wahrhaftiges und reines Leben zu suchen. So entdecken wir, dass das Gute und das Böse in dieser Welt der Vergänglichkeit sehr nahe miteinander verwandt, unzertrennlich sind, fortwährend eine gegeneinander wirkende Ausrichtung beweisen und sich gegenseitig dialektisch in Bewegung halten. Was das eine aufbaut, bricht das andere ab. So ist und bleibt der Mensch in der Todesnatur seiner Bestimmung fern. Die vier zuerst genannten königlichen Personen im Obersaal symbolisieren diese Idee. (Jan van Rijckenborgh_ Alchimische Hochzeit Band 2, S. 102-103)
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Wie Christian Rosenkreuz Cupido und den magischen Altar entdeckt
Hinter ihnen saßen auf einer runden Bank einige alte Männer, von denen aber keiner ein Schwert oder eine andere Waffe bei sich hatte, was mich sehr wunderte. Auch sah ich keine andere Leibgarde, als einige Jungfrauen, die gestern bei uns gewesen waren. Sie saßen an den Seiten des Bogens.
Hier kann ich nicht verschweigen, auch der kleine Cupido flog da umher, er kletterte und gaukelte jedoch meistens auf der großen Krone herum. Zuweilen setzte er sich zwischen die beiden Liebenden und spielte mit seinem Bogen, ja, er tat manchmal so, als wollte er auf einen von uns schiessen. Der Knabe war so mutwillig, dass er auch die kleinen Vögel, die scharenweise im Saal umherflogen, nicht schonte, sondern sie neckte, wo er nur konnte. Auch die Jungfrauen hatten Kurzweil mit ihm, und wenn sie ihn erhaschen konnten, ließen sie ihn so bald nicht wieder los. Dieser kleine Knabe bereitete so allen Spaß und Freude.
Vor den Königen stand ein kleiner, überaus zierlicher Altar. Darauf lag ein schwarzsamtenes Buch, ein wenig mit Gold beschlagen. Daneben stand ein kleines Licht auf einem elfenbeinernen Leuchter. Obwohl es sehr klein war, brannte es fortwährend und ruhig. Wenn nicht Cupido zuweilen aus Spaß hineingeblasen hätte, hätten wir es nicht für ein Feuer gehalten.
Neben dem Leuchter stand ein Sphäroid oder eine Himmelskugel, die sich von selbst drehte. Außerdem war da eine kleine Schlaguhr mit einem kristallenen Rohrbrünnlein darauf, aus dem ständig blutrotes, helles Wasser lief und schließlich ein Totenschädel. In dem war eine weiße Schlange, die war so lang, dass, obwohl sie ringsherum lag, doch ihr Schwanz immer in der einen Augenhöhle blieb, bis der Kopf wieder aus der anderen hervorkam. Sie verließ den Totenkopf also niemals. Wenn es sich begab, dass Cupido sie ein wenig zwickte, dann verschwand sie so schnell, dass wir uns alle wunderten.
Außer diesem Altar waren in dem Saal auch seltsame Bilder, die sich bewegten, als ob sie lebten, und sie zeigten so wunderliche Phantasien, dass es mir unmöglich ist, alles zu erzählen.
Kommentar 27: Die Bedeutung des magischen Altars
Ein Altar ist eine Opferstätte, und es ist klar, dass dieser Königssaal im Pinealiszentrum der Ort des vollkommenen Opfers, eines völlig neuen, jetzt erst möglich gewordenen Opfers sein muss. Die drei Ansichten Geist, Seele und Körper, die miteinander verbunden werden, müssen durch die vollständige Opferung des Selbstes alchimisch zu dem wahren, neuen, göttlichen Menschen umgeformt werden. Darum steht der elfenbeinerne Leuchter mit dem ruhig brennenden Licht dem Globus gegenüber. Es ist kein Erdglobus, sondern ein Himmelsglobus, das mächtige Bild des Sonnenmakrokosmos... Aber die weiße Schlange, die sich über den ganzen Alter hin bewegt, mit dem Totenschädel als Zentrum, stellt die immer wirksame, göttliche Weisheit dar, die göttliche Weisheit und Vollkommenheit, die totale Wiedergeburt und die absolute Unsterblichkeit, die durch den Geist Gottes verwirklicht werden muss. (S. 51)
Als wir hinauszogen, erklang eine so seltsame Vokalmusik, dass ich eigentlich nicht wusste, ob sie von den Jungfrauen, die noch zurückblieben, oder von den Bildern kam.
Nun waren wir für dieses Mal zufrieden und zogen mit unseren Jungfrauen davon. Unsere Musikanten waren bereits wieder anwesend und führten uns die Wendeltreppe hinunter. Die Tür wurde sorgfältig verschlossen und verriegelt.
Als wir nun wieder in den Saal kamen, sagte eine der Jungfrauen: »Schwester, mich wundert, dass du dich unter so viele Personen gewagt hast« Unsere Präsidentin antwortete: » Meine Schwester, ich sorgte mich um keinen so sehr, wie um ihn.« Dabei deutete sie auf mich. Diese Worte gingen mir sehr zu Herzen, denn ich verstand wohl, dass sie mich meines Alters wegen verspottete, denn ich war von allen der Älteste. Doch sie tröstete mich mit der Verheißung, dass sie mir diese Last wohl abnehmen könnte, wenn ich recht zu ihr halten würde.
Inzwischen wurde das Essen aufgetragen und jeder neben seine Jungfrau gesetzt. Diese wussten uns mit liebenswürdigem Gespräch die Zeit wohl zu verkürzen. Ich darf aber nicht aus der Schule schwätzen, was ihre Gespräche und Scherze behandelten. Die meisten Fragen befassten sich aber mit den Künsten, woraus ich leicht entnehmen konnte, dass jung und alt sich mit Kunst beschäftigte. Es lag mir noch im Sinn, wie ich doch wieder jung werden könnte und war deswegen etwas traurig. Das merkte die Jungfrau und sagte daher »Ich merke wohl, was diesem Gesellen fehlt. Es ist gewiss wenn ich künftige Nacht bei ihm schlafe, wird er morgen lustiger sein.« Hierauf fingen alle an zu lachen, und, obwohl mir die Röte ins Gesicht stieg, musste ich doch über mein Unglück lachen.
Nun war da einer, der wollte meine Schmach an der Jungfrau rächen. Er sprach daher: »Ich hoffe, es werden nicht allein wir, sondern auch die Jungfrauen selbst unserem Bruder bezeugen, dass unsere Jungfrau Präsidentin versprochen hat, künftige Nacht bei ihm zu schlafen.« »Damit wäre ich wohl zufrieden,« antwortete die Jungfrau, »wenn ich mich nicht vor diesen meinen Schwestern fürchten müsste. Denen wäre es nicht recht, wenn ich mir ohne ihren Willen den Schönsten und Besten erwählte.«
»Meine Schwester,« fing bald eine andere an, »wir merken hieran, dass dein hohes Amt dich nicht stolz gemacht hat. Da wir nun mit deiner Erlaubnis gegenwärtige Herren uns durch das Los zu Schlafgefährten auswählen möchten, sollst du mit unserem guten Willen solches Vorrecht haben.«
Wir ließen dieses als einen Scherz gelten und begannen, wieder miteinander zu sprechen. Unsere Jungfrau aber konnte nicht lassen, uns zu necken, und fing wieder an: »Ihr Herren, wie wäre es, wenn wir das Glück entscheiden ließen, wer bei wem schlafen muss«
»Wohlan,« sprach ich, »kann es denn nicht anders sein, so dürfen wir ein solches Anerbieten nicht abschlagen.« Weil nun beschlossen wurde, es nach dem Essen zu probieren, wollten wir auch nicht länger am Tisch sitzen, erhoben uns also und gingen jeder mit seiner Jungfrau auf und ab. » Nein,« sprach die Jungfrau, »so soll es noch nicht sein, sondern lasst uns jetzt sehen, wie uns das Glück zueinander gesellen will.«
Hierauf wurden wir alle von einander getrennt. Nun erhob sich ein Disput, wie die Sache anzupacken sei. Aber das war nur ein verabredetes Spiel, denn die Jungfrau schlug bald vor, wir sollten uns im Kreis aufstellen. Sie würde dann mit dem Auszählen beginnen. Dann sollte jeweils der Siebte mit dem folgenden Siebten vorliebnehmen, sei es Jungfrau oder Mann. Wir dachten an keine List und ließen es geschehen. Als wir meinten, wir ständen durcheinander, waren die Jungfrauen doch so unter uns verteilt, dass jede ihren Platz schon vorher wusste.
Die Jungfrau begann zu zählen, da traf es eine Jungfrau, nach ihr die Siebente war wieder eine Jungfrau, auch zum dritten Mal war es eine Jungfrau. Und das geschah, bis zu unserer Verwunderung alle Jungfrauen herausgezählt waren und keiner von uns getroffen worden war. So blieben wir arme Tropfe also allein stehen, mussten uns dazu noch verspotten lassen und bekennen, dass wir redlich betrogen worden waren. Wer uns in unserer Reihenfolge gesehen hätte, würde noch eher mit des Himmels Fall gerechnet haben, als damit, dass es niemals einen von uns treffen sollte. Damit war es mit diesem Scherz vorbei, und wir mussten uns den Schalk der Jungfrauen gefallen lassen.
Inzwischen kam auch der kleine, mutwillige Cupido zu uns. Er war aber im Namen der Königlichen Majestäten da und überbrachte uns einen Trunk aus einer goldenen Schale. Da er gleichzeitig unsere Jungfrau vor den Konig bat und dabei erklärte, er könne dieses Mal nicht länger bei uns sein, konnten wir uns nicht recht mit ihm anfreunden. Wir ließen ihn also mit gebührendem, untertänigen Dank fortfliegen.
Kommentar 28: Die Bedeutung der Jungfrauen und Pagen
Die "Alchimische Hochzeit" berichtet von Jungfrauen und Pagen. Es gibt anscheinend sehr viele; jeder Kandidat hat seine eigene Jungfrau und seinen eigenen Pagen. Was bedeutet das? Wenn Sie wirklich ein Kandidat der gnostischen Mysterien geworden sind und der neue Seelenzustand daher erreicht ist, dann gibt es auch als gesetzmäßige Selbstverständlichkeit ein Einfließen gnostischer Lichtkraft in die Pinealis. Diese spirituelle Essenz hat am Anfang zwei Ansichten, zwei Pole, nämlich einen positiven und einen negativen, einen männlichen und einen weiblichen Aspekt. Die alten Chinesen sprachen von yang und yin. Diese beiden spirituellen Lichtkräfte – die “Alchimische Hochzeit” nennt sie König und Königin – strömen durch das gesamte System der Persönlichkeit und verteilen sich über das Chakra-System und die vielen Sinneszentren in viele hundert verschiedene Strahlungen und Einflüsse. Auf diese Weise gibt es also viele Pagen und Jungfrauen, die als Diener und Dienerinnen der Gnosis im Kandidaten wirken... Die Strahlen der Gnosis in ihrer positiven und negativen Wirksamkeit wirken helfend und aufklärend, aber sie verbinden sich niemals mit irgendetwas aus der Todesnatur. Kräfte der neuen Natur können sich nicht mit der alten Natur verbinden. Dennoch bleibt die Verheißung vollkommen wahr: wer den Pfad geht, wird von seiner Hinfälligkeit, seinem dialektischen Todesgang, also von seinem Alter erlöst. So zeigt sich, dass sich hinter diesen, dem Decamerone ähnlichen Geschichten eine hohe, edle und tröstende Wahrheit verbirgt. Das gnostische Licht geht mit uns auf all unseren Wegen. Die göttliche Liebe ist sogar in uns. Aber wir können diese Majestät unmöglich erniedrigen. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 2, S. 63 und 65)
Da nun auch inzwischen meinen Gefährten die Freude in die Füße fuhr, was auch die Jungfrauen nicht ungern sahen, hatten sie bald mit einem züchtigen Tänzchen begonnen, bei dem ich lieber mit Vergnügen zusah, als daran teilnahm. Denn es konnten meine Merkurialisten sich so gut in den Spaß fügen, als ob sie das Handwerk längst gelernt hätten.
Nach einigen Tänzen kam unsere Präsidentin wieder zurück und berichtete uns, dass die Künstler und ihre Gehilfen sich erboten hätten, zu Ehren und zu Gefallen der Königlichen Majestäten vor ihrem Auszug eine fröhliche Komödie aufzuführen. Wenn wir dieser auch beiwohnen und die Königlichen Majestäten zum Sonnenhaus begleiten wollten, wäre es ihnen lieb und wollten sie es in Gnaden gewähren. Hierauf bedankten wir uns zuerst demütig für die angebotene Ehre und boten nicht nur dabei, sondern auch sonst unsere geringen Dienste an. Das richtete die Jungfrau aus.
Die Jungfrau brachte bald den Bescheid, dass wir die Königlichen Majestäten auf dem Gang in unserer Reihenfolge erwarten sollten. Dorthin wurden wir bald geführt, standen auch nicht lange dort, denn die königliche Prozession war schon da, jedoch ohne Musik. Voran ging die unbekannte Königin, die gestern bei uns gewesen war, mit einer kleinen, kostbaren Krone und in weißen Atlas gekleidet. Sie trug nur ein kleines Kruzifix, das aus einer Perle gemacht war. Es hatte heute zwischen dem jungen König und der Braut gehangen.
Nach ihr kamen die sechs genannten Jungfrauen in zwei Reihen. Sie trugen des Königs Kleinodien, die auf den kleinen Altar gehörten. Darauf folgten die drei Könige, unter ihnen der Bräutigam in der Mitte. Er war aber ganz schlicht in schwarzen Atlas gekleidet nach italienischer Art. Er trug einen kleinen, schwarzen runden Hut mit einer kleinen, schwarzen, spitzen Feder. Diesen zog er freundlich vor uns, um uns damit seine Gnade zu beweisen. Auch vor diesem verneigten wir uns wie vor dem ersten, als wir daran erinnert wurden.
Nach den Königen kamen die drei Königinnen, von denen zwei kostbar gekleidet waren. Nur die mittlere ging ebenfalls ganz in Schwarz. Cupido trug ihre Schleppe. Hierauf winkte man uns zu folgen. Nach uns kamen die Jungfrauen, und der alte Atlas beschloß den Zug.
In dieser Prozession gelangten wir endlich durch viele reich geschmückte Gänge im Sonnenhaus auf ein dort errichtetes, stattliches Gerüst, um neben dem König und der Königin der Aufführung der Komödie beizuwohnen.
Kommentar 29: Die Bedeutung des Sonnenhauses
Das Haus der Sonne ist das Herzheiligtum. Und die Sonne ist der Geist, der König und die Königin selbst. Das Herz ist der Ort, wo der Geist wohnen muss, wenn er sich ganz mit der Seele vereinigt hat, wenn die königliche Hochzeit in Wirklichkeit und Vollkommenheit gefeiert worden ist. Die Pinealis, das mächtige Zentrum, ist der Ort, an dem der Geist eintritt. Bei dem Spiralenweg nach oben haben die Kandidaten entdeckt, dass der König und die Königin zwar noch nicht gekrönt, jedoch bereits anwesend sind...Die neue Seele ist lediglich eine Strahlung. Wenn der Geist sie nicht richtet, dann verirrt sie sich ins Unbestimmte, und das Ich, das noch existiert, kann zu sehr negativen Taten getrieben werden ... Und jetzt wird in die Seele, in den Gemütszustand des Kandidaten, unmittelbar der große Prozess der alchimischen Veränderung eingeätzt, damit “die Seele erkennt, wie sie erkannt wird”, das heißt, einen Gemütszustand besitzt, der fortwährend zu der wahren, auf den Geist gerichteten Tat treibt. Darum wird diese Vorbereitung des Herzens als eine Theatervorstellung geschildert. Das ist eine symbolische Darstellung der kommenden, großen Arbeit, die jedem Kandidaten als unmittlbar Betroffenem gezeigt wird. (S. 67-68)
Wir standen rechts von den Königen, wenn auch mit Abstand, die Jungfrauen aber links, außer jenen, welche die königlichen Insignien trugen. Denen wurde ganz oben ein besonderer Platz angewiesen. Die anderen Diener aber mussten ganz unten zwischen den Säulen stehen und damit vorliebnehmen.
Weil bei dieser Komödie vieles besonders zu beachten war, will ich es nicht unterlassen, sie kurz zu schildern.
Zuerst trat ein alter König mit einigen Dienern auf. Vor seinen Thron wurde ein kleines Kästchen gebracht mit der Meldung es wäre auf dem Wasser gefunden worden. Als man es öffnete, war ein schönes Kind darin sowie neben einigen Kleinodien auch ein kleines, versiegeltes, pergamentenes Briefchen mit der Aufschrift: » An den König«. Daher öffnete der Konig es schnell. Nachdem er es gelesen hatte, weinte er. Darauf berichtete er seinen Dienern, dass der König der Mohren das Land seiner Base gewaltsam eingenommen und alle königlichen Nachkommen, bis auf dieses Kind, ausgetilgt hätte. Mit der Tochter der Base gedachte er, zu gegebener Zeit seinen Sohn zu vermählen. Darauf schwur er dem Mohr und seinen Gehilfen ewige Feindschaft und Rache für das Geschehene.
Dann befahl er, das Kind liebevoll aufzuziehen und sich gegen den Mohren zu rüsten. Dieses Rüsten sowie die Erziehung des Töchterchens – es wurde, sobald es ein wenig gewachsen war, einem alten Lehrmeister übergeben – füllten den ganzen ersten Akt mit viel feiner und löblicher Kurzweil.
Als Zwischenspiel ließ man einen Löwen und einen Greifen miteinander kämpfen. Der Löwe blieb Sieger, was auch verständlich war.
Im zweiten Akt trat auch der Mohr auf, ein schwarzer, tückischer Mann. Er hatte nun mit Schmerzen vernommen, dass sein Mord offenbar und ihm doch durch List ein Mädchen entkommen war. Er beratschlagte daher, wie er einem so mächtigen Feind mit List begegnen könnte, wozu ihm auch einige, die wegen einer Hungersnot zu ihm geflohen waren, rieten.
So ist entgegen aller Erwartung das Jungfräulein wieder in seine Hand gekommen. Er hätte es gleich erwürgen lassen, wenn er nicht wunderbarerweise von seinen eigenen Dienern betrogen worden wäre. So wurde also dieser Akt mit einem merkwürdigen Triumph des Mohren beschlossen.
Kommentar 30: Der Widersacher
Das ist die zweite Lektion, die jede sich erneuernde Seele lernen und sich täglich vor Augen halten muss. Wenn die Seele in Bewegung gerät, sich auf ihr eines Ziel richtet und dadurch auf die Persönlichkeit einen Einfluss ausübt, den Hermes als »den Glanz der Seele« bezeichnet, ruft sie unvermeidlich die Kraft des Widersachers auf. Denn in das Pinealiszentrum fließt nicht nur die wiederaufrichtende Kraft des Geistes ein, sondern ebenfalls die dialektische Kundalinikraft, die Kraft der gewohnten Natur, im Pinealiszentrum symbolisiert durch » den Mohren«, den alten Willen... Aber, wie seltsam, auch der Mohr wird von seinen eigenen Dienern betrogen! Wunderbarerweise, so sagt die Erzählung. Der Mohr besitzt zwei Arten Diener, da sein Lebensfeld und seine treibende Kraft das Feld und die Kraft der Gegensätze formen. Wenn daher das Böse, das Finstere, zur Aktivität drängt, wird dadurch aufgrund des Wesens der Dialektik auch das Gute aktiviert. Wir alle kennen das so trügerische Spiel des ständigen Wechsels: das Gute, das sich in Böses verwandelt, und das Böse, dem das Gute folgt. Denken Sie hierbei auch an viele gewaltige Geschehnisse in der Weltgeschichte, in denen sich mit großer Macht, Kraft und hervorragender Intelligenz durchgeführte Entwicklungen unaufhaltsam stets wieder in ihr Gegenteil verwandelten. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische hochzeit Band 2, S. 75-78)
Im dritten Akt wurde auf Befehl des Königs ein großes Kriegsheer gegen den Mohren versammelt und einem alten, tapferen Ritter übergeben. Der fiel in das Land des Mohren ein, ließ die Jungfrau schließlich mit Gewalt aus dem Turm befreien und wieder bekleiden. Danach errichteten sie geschwind ein herrliches Gerüst und stellten ihr Fräulein darauf.
Bald darauf erschienen zwölf königliche Gesandte, vor denen der genannte Ritter eine Rede hielt und berichtete, dass sein allergnädigster Herr König sie nicht nur bereits einmal vom Tode erlöst, sondern auch bisher königlich erziehen lassen hatte, sie sich jedoch nicht immer so verhalten habe, wie es sich gebührt. Auch habe seine Königliche Majestät sie für seinen jungen Herrn und Sohn zur Gemahlin erwählt und wolle diese Verlobung allergnädigst vorbereiten lassen, wenn sie folgende Artikel vor Seiner Majestät geloben würde. Dann las er aus einer Urkunde einige herrliche Bedingungen vor, die es wohl wert wären, hier aufgezählt zu werden, wenn es nicht zu lang würde. Kurzum, die Jungfrau schwur einen Eid, alles treu zu halten und bedankte sich außerdem aufs Höflichste für diese hohe Gnade.
Daher begannen sie zu singen, Gott, den König und die Jungfrau zu loben und traten wieder ab.
Kommentar 31: Die Bedeutung des Gelübdes
Wenn die Seele so von ihrer Isolierung erlöst wird, oder dieser Prozess der Befreiung sich entwickelt, wird sie als die künftige Gemahlin des Königssohnes ausgerufen. Verstehen Sie dieses Wort gut! Sobald die Seele wiedergeboren und aus ihrer Isolierung erlöst ist, verbindet der Siebengeist sich mit ihr, und die eigentliche alchimische Hochzeit wird vorbereitet. Aber das wirkliche Hochzeitsfest kann erst dann stattfinden, wenn die Bedingungen absolut beachtet werden und die Seele sich dazu verpflichtet. Dann kann sich der Geist mit der Seele zu einer absoluten Einheit verbinden. Dann verändert sich auch der körperliche Mensch durch Transfiguration, und die drei: Geist, Seele und Körper, werden eine Drei-Einheit. Aber später wird sich zeigen, daß das Ablegen eines Gelübdes, sei es auch unter heiligen Schwüren, noch etwas anderes ist, als ein Gelübde zu erfüllen. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 2, S. 79-81)
Zur Unterhaltung wurden inzwischen die vier Tiere Daniels, so wie er sie in einem Gesicht gesehen und ausführlich beschrieben hat, aufgeführt, was alles eine bestimmte Bedeutung hatte.
Im vierten Akt erhielt die Jungfrau ihr verlorenes Königreich wieder zurück. Sie wurde gekrönt und auch eine Weile in ihrem Schmuck mit großer Freude auf dem Platz herumgeführt. Darauf erschienen viele Legaten, nicht nur, um ihr Glück zu wünschen, sondern auch, um ihre Herrlichkeit zu sehen. Nun blieb sie aber nicht lange bei ihrer Frömmigkeit, sondern begann schon wieder, sich frech umzusehen, den Legaten und Herren zuzuwinken, womit sie ihre wahre Art bewies.
Diese Manieren wurden dem Mohren bald kundgetan, der solche Gelegenheit nicht versäumen wollte. Da ihr Hofmeister nicht genug auf sie achtete, wurde sie leicht durch große Versprechungen verblendet, so dass sie ihrem König nichts Gutes zutraute, sondern sich nach und nach heimlich ganz dem Mohren überließ. Hierauf eilte der Mohr herbei, und als er sie mit ihrer Einwilligung in seiner Hand hatte, gab er ihr solange gute Worte, bis sie ihr ganzes Königreich ihm unterwarf.
Darauf ließ er sie in der dritten Szene dieses Aktes hinausführen, zuerst nackt ausziehen und auf einem groben Gerüst an eine Säule binden und geißeln und sogar zum Tode verurteilen. Das war so traurig anzusehen, dass es einigen die Tränen in die Augen trieb. Darauf wurde sie nackt in den Kerker geworfen, um dort den Tod zu erwarten. Das sollte mit Gift geschehen, welches sie jedoch nicht tötete, sondern aussätzig machte. Dieser Akt war also größtenteils traurig.
Inzwischen führten sie Nebukadnezars Bild auf, das war mit verschiedenen Wappen an Kopf Brust, Bauch, Schenkeln und Fußen verziert, wovon in einer künftigen Erklärung gesprochen werden soll.
Im fünften Akt wurde dem jungen König berichtet, was mit dem Mohren und seiner zukünftigen Gemahlin geschehen war. Der brachte zunächst eine Fürbitte bei seinem Vater für sie vor und wollte sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Da der Vater einwilligte, wurden Legaten abgesandt, um sie in ihrer Krankheit und Gefangenschaft zu trösten, aber sie auch zu tadeln wegen ihrer Unbedachtsamkeit. Sie wollte diese aber nicht anhören, sondern willigte ein, des Mohren Konkubine zu werden, was auch geschah und dem jungen König gemeldet wurde.
Danach trat eine Gruppe Narren auf von denen jeder einen Stab mitgebracht hatte. Damit machten sie eilig eine große Weltkugel, die sie aber ebenso schnell wieder auflösten. Es war eine hübsche, kurzweilige Vorstellung.
Im sechsten Akt beschloß der junge König, dem Mohren einen Kampf anzubieten, was auch geschah. Der Mohr wurde getötet. Aber jeder hielt den jungen König auch für tot. Endlich kam er wieder zu sich, erloste seine Braut und rüstete sich zur Hochzeit und übergab sie inzwischen wieder seinem Hofmeister und Hofprediger.
Der erste peinigte sie heftig. Schließlich wendete sich das Blatt, und der Priester wurde so überaus böse, dass er sich über alle erhob, bis es dem jungen König berichtet wurde. Der sandte eilig jemanden hin, der die Gewalt des Priesters zerbrach und die Braut zur Hochzeit schmückte.
Nach diesem Akt führte man einen nachgemachten übergroßen Elefanten vor, der einen großen Turm mit Musikanten trug, was auch allen wohl gefiel.
Im letzten Akt erschien der Bräutigam mit solchem Pomp, 'daß es nicht zu glauben ist und ich mich wunderte, wie so etwas möglich war. Ihm kam die Braut mit gleicher Pracht entgegen. Da rief alles Volk: »Es lebe der Bräutigam, es lebe die Braut«. Mit dieser Komödie gratulierten sie alle unserem Konig und der Königin aufs Prächtigste, was ihnen – wie ich wohl gesehen habe – über die Maßen gut gefiel.
Schließlich zogen sie wie in einer Prozession einige Male herum, bis zuletzt alle zu singen begannen:
I
Die liebe Zeit
bringt uns so große Freud'
mit des Königs Hochzeit.
Darum singet alle,
daß es erschalle:
Glück sei dem, der es uns bereit't.
II
Die schöne Braut,
auf die wir solange gewartet,
wird ihm nun angetraut.
Wir haben gewonnen, um was wir gerungen.
Wohl dem, der in die Zukunft schaut.
III
Die Eltern gut
seien nun gebeten.
Lang genug war sie in Hut.
Vermehrt euch in Ehren,
daß Tausende werden
uns eurem eigenen Blut.
Danach traten sie ab, und so nahm die Komödie mit Freuden und dem besonderen Gefallen der königlichen Personen ein Ende. Es war auch der Abend bereits gekommen, daher traten wir zusammen in der bekannten Reihenfolge ab. Wir mussten jedoch die königlichen Personen die Wendeltreppe hinauf bis in den bereits beschriebenen Saal begleiten. Dort waren die Tafeln schon köstlich zubereitet.
Es war das erste Mal, dass wir zur königlichen Tafel gebeten wurden. Den kleinen Altar stellte man mitten in den Saal, und die erwähnten königlichen Insignien wurden darauf gelegt. Der junge König verhielt sich uns gegenüber sehr gnädig, aber er konnte nicht recht fröhlich sein. Obgleich er zuweilen mit uns sprach, seufzte er doch manchmal, worüber der kleine Cupido spottete und seinen Mutwillen damit trieb. Die alten Könige und ihre Gemahlinnen waren sehr ernst, nur des einen Alten Gemahlin zeigte sich froh. Die Ursache dafür kannte ich nicht.
Inzwischen nahmen die königlichen Personen an der ersten Tafel Platz. An der anderen saßen wir allein. An die dritte Tafel setzten sich einige vornehme Jungfrauen. Die anderen Männer und Jungfrauen mussten alle aufwarten. Das geschah mit solchem köstlichen und ernsten, stillen Wesen, dass ich mich scheue, davon zu sprechen. Doch kann ich nicht unerwähnt lassen, dass alle königlichen Personen vor dem Essen schneeweiße, glänzende Kleider angezogen hatten und so am Tisch saßen.
Über der Tafel hing die bereits erwähnte große, goldene Krone, deren edle Steine wohl allein ohne alles andere Licht den Saal erleuchten konnten. Sonst wurden alle Lichter an dem kleinen Lichtlein auf dem Altar angezogen. Den Grund dafür weiß ich eigentlich nicht. Ich habe aber wahrgenommen, dass der junge König manchmal der weißen Schlange auf dem kleinen Altar Essen schickte, was mich nachdenklich stimmte.
Die Unterhaltung bei diesem Bankett ging fast ausschließlich von dem kleinen Cupido aus, er konnte uns, besonders mich, mit seinen Neckereien nicht in Ruhe lassen. Er brachte immer wieder etwas Lustiges vor. Aber es herrschte keine große Freude, alles ging so still vor sich. Dadurch bildete ich mir ein, dass wir in großer Gefahr wären. Es wurde auch keine Musik gehört. Und wenn wir etwas gefragt wurden, mussten wir nur kurze knappe Antworten geben. Dabei blieb es. Kurz gesagt, es wirkte alles so seltsam, dass mir der Schweiß über den Leib zu rinnen begann, und ich glaube, dass auch dem beherztesten Mann der Mut entfallen wäre.
Als nun dieses Nachtessen beendet war, ließ sich der junge König das Buch vom Altar reichen. Das schlug er auf und ließ uns nochmals durch den alten Mann fragen, ob wir gedachten, in Liebe und Leid bei ihm zu bleiben. Da wir es zitternd bestätigten, ließ er uns weiter traurig fragen, ob wir uns ihm verschreiben wollten. Da konnten wir nicht umhin, es musste sein. Daraufhin stand einer nach dem anderen auf und schrieb sich mit eigener Hand in das Buch ein.
Als auch das geschehen war, brachte man das kristallene Brünnlein herbei samt einem kleinen Kristallglas. Daraus tranken nacheinander alle königlichen Personen, und dann wurde es auch uns gereicht und so weiter an alle Personen. Es wurde »der Trunk des Schweigens« genannt. Darauf boten uns alle königlichen Personen die Hand mit der Mitteilung, dass wir sie niemals wiedersehen würden, wenn wir ihnen nicht die Treue hielten, was uns wahrlich die Augen überlaufen ließ Unsere Präsidentin versprach es aber an unserer Statt sehr, worüber sie zufrieden waren.
Unterdessen wurde eine Glocke geläutet, wobei alle königlichen Personen so erblichen, dass wir verzagen wollten. Dann legten sie ihre weißen Kleider wieder ab und zogen ganz schwarze an.
Auch wurde der ganze Saal mit schwarzen Tüchern verhängt, der Boden mit schwarzem Samt bedeckt und auch oben an der Decke ein Vorhang vorgezogen, was alles schon vorbereitet war. Nachdem die Tische weggeräumt waren und alle sich im Kreis auf die Bank gesetzt und auch wir schon schwarze Kutten angezogen hatten, kam unsere Präsidentin, die zuvor hinausgegangen war, wieder herein und brachte sechs schwarze Taftbinden, mit denen sie den königlichen Personen die Augen verband.
Als diese nun nichts mehr sehen konnten, wurden von den Dienern eilig sechs verdeckte Särge in den Saal getragen und abgesetzt. Auch wurde ein niedriger schwarzer Sessel in die Mitte gestellt. Schließlich trat ein langer, kohlrabenschwarzer Mann in den Saal, der trug in der Hand ein scharfes Beil. Nachdem nun zuerst der alte König zu dem Sessel geführt worden war, wurde ihm schnell das Haupt abgeschlagen und in ein schwarzes Tuch gewickelt. Das Blut aber wurde in einem großen goldenen Pokal aufgefangen und zu ihm in den bereitgestellten Sarg getan, zugedeckt und beiseite geschoben.
So erging es auch den anderen, dass ich schließlich meinte, ich würde auch drankommen. Aber das geschah nicht, denn sobald die sechs Personen enthauptet waren, ging der schwarze Mann wieder hinaus. Ihm folgte ein anderer, der ihn sogleich vor der Tür auch enthauptete und sein Haupt samt dem Beil mitbrachte und in eine kleine Kiste legte. Das schien mir wahrlich eine blutige Hochzeit zu sein. Da ich jedoch nicht wissen konnte, was noch geschehen würde, musste ich damals meine Gedanken bezwingen, bis ich besser Bescheid wusste.
Kommentar 32: Die Bedeutung der Enthauptung
Der naturgeborene Körper ist kein Schöpfungsziel an sich. Er ist ein Werkzeug, ein Mittel, um eine andere Geburt, ein anderes Ziel zu verwirklichen. Wenn die naturgeborene Persönlichkeit ihren Ichtrieb neutralisieren will, bevor dieser dem Körper großen Schaden zufügen konnte, werden andere Kräfte frei, wird ein Seelenzustand geboren, der ausschließlich in der Kraft Gottes leben kann. Wollen diese neuen Ansichten, die sich der naturgeborenen Persönlichkeit gleichsam gefangen geben, wirklich auferstehen, dann müssen die alten Bewusstseins- und Lebensbrennpunkte »lebendig« ersetzt werden durch sieben neue. (S. 117) So verstehen Sie, dass am Ende des Vierten Tages der alchimischen Hochzeit ein Kriterium naht, ein Höhepunkt und zugleich ein Tiefpunkt: ein Golgatha, nämlich der Tod der sechs königlichen Personen. Aber es ist ein Tod, auf den schließlich eine Auferstehung folgen muss, quer durch eine mächtige alchimische Erfahrung hin... Wer diesen Tod zum Leben annehmen will, muss verstehen, dass dieser Tod ein gewaltiger Prozess der Umwandlung aller Werte ist, ein Prozess, an dem der Kandidat vollkommen bewusst und wissend mitwirken muss... Vielleicht hat sich Ihre Aufmerksamkeit dem geheimnisvollen Vollstrecker des Urteils zugewandt, der nach der Vollstreckung auch selbst untergeht. Dieser Urteilsvollstrecker ist der Wille des Kandidaten...Der Wille ist der Vollstrecker, der Ausführende, der in den Kandidaten des Vierten Tages mit den sechs anderen auch sich selbst untergehen lässt. (Jan van Rijckenborgh: Alchimische Hochzeit Band 2, S. 104-105)
Auch unsere Jungfrau hieß uns ruhig sein, weil einige von uns kleinmütig wurden und weinten. Dann sprach sie zu uns: »Das Leben dieser liegt nun in euren Händen, und wenn ihr mir folgt, soll dieser Tod noch viel lebendig machen.«
Dann sagte sie zu uns, wir sollten nun schlafen gehen und nicht bekümmert sein, denn ihnen sollte recht geschehen. Sie wünschte uns also allen eine gute Nacht mit der Mitteilung, sie müsste heute bei den Leichnamen wachen. Wir ließen es geschehen und wurden von unseren Knaben in unsere Schlafgemächer geführt.
Mein Knabe redete noch viel mit mir und auch manches, woran ich mich noch gut erinnere, und ich wunderte mich über seinen Verstand. Seine Absicht war aber, mich zum Schlafen zu bringen, was ich schließlich merkte und so tat, als ob ich schliefe. Aber es kam kein Schlaf in meine Augen, weil ich die Enthaupteten nicht vergessen konnte.
Nun war mein Quartier auf den großen See gerichtet, so dass ich darauf blicken konnte, denn die Fenster waren nahe bei meinem Bett. Um Mitternacht, als es zwölf Uhr schlug, erblickte ich auf dem See ein großes Feuer. Aus Furcht öffnete ich schnell das Fenster, um zu sehen, was daraus werden wollte. So sah ich von fern sieben Schiffe kommen, die alle vollständig mit Lichtern besteckt waren. Über jedem Schiff schwebte eine Flamme, die sich hin und her bewegte. Zuweilen ließ sie sich auch ganz herunter, so dass ich leicht erraten konnte, dass es die Geister der Enthaupteten sein mussten.
Diese Schiffe zogen gemächlich ans Land, und jedes hatte nur einen Schiffsmann. Sobald sie nun an Land stießen, sah ich unsere Jungfrau mit einer Fackel den Schiffen entgegengehen. Man trug ihr die sechs bedeckten Särge mit dem Kistchen nach, und jeder wurde in einem der Schiffe geborgen. Daher weckte ich auch meinen Knaben, der mir dafür sehr dankte. Da er den Tag über viel gelaufen war, hätte er dieses fast verschlafen, obwohl er davon wusste.
Sobald nun die Särge in den Schiffen waren, wurden alle Lichter gelöscht. Und die sechs Flammen fuhren zusammen über den See hin, so dass also nicht mehr als ein Licht in jedem Schiff zur Wache blieb.
Es hatten sich auch einige hundert Wächter an das Ufer gelegt und die Jungfrau wieder in das Schloss geschickt, die alles wieder eifrig verriegelte. Daraus konnte ich entnehmen, dass heute nichts mehr geschehen würde, sondern dass ich den Tag abwarten müsste.
Also begaben wir uns wieder zur Ruhe. Ich war der Einzige unter all meinen Gefährten, dessen Gemach zum See hinaus lag und der alles gesehen hatte. So war ich jetzt auch von all den Dingen müde und schlief über meinen vielfachen Spekulationen ein.