Pymander, Vers 48-60, Kommentare aus der Ägyptischen Ur-Gnosis
Die Erfahrung des Todes, die Rückkehr zum wahren Leben, die Reinigung des Herzens und der Weg der Erfahrung sind die Gesprächsthemen im Dialog zwischen Hermes und Pymander in der Versen 48-60 des Corpus Hermeticum.
48. Als Gott also gesprochen hatte, bewirkte die Vorsehung durch das Schicksal und die verbindende Kraft der Sphären die Vermischung und setzte die Fortpflanzung ein; und alle Wesen vermehrten sich nach ihrer Art; und wer sich selbst als unsterbliches Wesen erkannte, ist auserkoren vor allen. Wer aber den Körper geliebt hat, der aus dem Wahn der Begierde hervorgegangen ist, muss weiter in der Finsternis umherirren und die Erfahrung des Todes durchleiden.«
Kommentar Ägyptische Urgnosis Bd. 1: Das Rad der Geburt und des Todes
Man hat diesen Vers nämlich immer falsch verstanden und in dem erwähnten Ausspruch der hermetischen Philosophie eine Art Warnung sehen wollen (…) Warnung des Hermes vor der irdischen Ehe und ihren Konsequenzen. Aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil zeigt sich in der Urgnosis, wie notwendig die geschlechtliche Trennung mit ihren Konsequenzen ist, um das Rad der Geburt und des Todes in Bewegung zu halten. Mit dem Lieben des Körpers, der aus dem Wahn der Begierde hervorgegangen ist, ist die Liebe zur dialektischen Natur gemeint, von der die Verse 37, 38 und 39 sprechen und die das Entstehen der sterblichen Naturgestalt zur Folge hatte. Die Liebe zur eigenen Naturgestalt, das vollständige Aufgehen in dieser Naturgestalt, sie als Zentrum, als den Menschen hinzustellen, das ist der Fehler, den Hermes in Vers 48 aufzeigt.
Ägyptische Urgnosis Band 1, S.78/79
49. Welchen entsetzlichen Fehler«, so rief ich aus, »haben denn jene begangen, die in Unwissenheit sind, dass sie der Unsterblichkeit beraubt sind?«
50. »Ich glaube, dass du nicht darüber nachgedacht hast, was du vernommen hast. Habe ich dich nicht vor allem gebeten, aufmerksam zu sein?«
51. »Ich denke nach«, sagte ich, »und ich erinnere mich nun und danke dir.«
52. »Wenn du nachgedacht hast, sage mir dann, warum jene, die im Tode sind, zu sterben verdienen.«
53. »Weil der Quell, aus welchem ihr Körper hervorkommt, die Finsternis ist, welche die feuchte Natur entstehen ließ; diese stellte in der sinnlichen Welt den Körper zusammen, in dem der Tod seinen Durst löscht.«
54. »Das hast du gut verstanden. Aber warum kommt der, welcher sich selbst erkannt hat, zu Gott, wie Gottes Wort es sagt?«
55. »Weil«, so antwortete ich, »der Vater aller Dinge, aus dem der Mensch geboren ist, Licht und Leben ist.«
56. »Ja, Licht und Leben, das ist Gott der Vater, aus dem der Mensch geboren ist. Wenn du also weißt, aus Leben und Licht hervorgegangen und aus diesen Elementen zusammengefügt zu sein, wirst du zum Leben zurückkehren.« Das war es, was Pymander mir sagte.
57. »Aber sage mir noch, o mein Gemüt, wie werde ich zum Leben eingehen?« fragte ich. »Denn Gott hat gesagt: `Lass den Menschen, der das Gemüt besitzt, sich selbst erkennen.’ Besitzen denn nicht alle Menschen das Gemüt?«
58. »Achte auf das, was du sagst! Denn ich, Pymander, das Gemüt, komme zu jenen, die heilig und gut, rein und barmherzig sind, zu den Gottesfürchtigen; meine Gegenwart wird ihnen zur Hilfe, sodass sie sogleich alles erkennen; und sie werden durch ihre Liebe dem Vater wohlgefällig und danken ihm in kindlicher Anhänglichkeit mit den Lobpreisungen und Gesängen, die sie ihm schuldig sind. Ehe sie ihren Körper dem Tod übergeben, dem er gehört, verachten sie ihre Sinne, weil deren Wirkungen ihnen nur allzu gut bekannt sind.
Kommentar Ägyptische Urgnosis Bd. 1: Hormonale Funktionen
Wenn ein Mensch im Herzheiligtum rein wird, wenn der Kandidat aufrecht und beharrlich nach einer solchen Reinigung strebt und das Licht infolgedessen in ihm Wohnung nehmen kann, dann verändert sich mit dem Gefühlsleben auch vollkommen das Denkleben, und das Tatleben stimmt mit dieser siebenfachen Reinigung des Herzens überein. Dann ist der Mensch rein in allem, was er tut und lässt. Erst dann verändern sich auch die hormonalen Funktionen im menschlichen System und der Kandidat tritt ein in die Sphäre des Guten, wie Pymander es nennt: in den Zustand des wahren Seelenwachstums. Ägyptische Urgnosis Band 1, S.79/80
59. Ja, ich, das Gemüt, werde keinesfalls zulassen, dass die Wirkungen des Körpers, die sie angreifen, ihren Einfluss auf sie ausüben: denn als Wächter der Türen werde ich bösen und beschämenden Taten den Zugang versagen und unheilige Vorstellungen unterbinden.
Kommentar Ägyptische Urgnosis Bd. 1: Von der Moraltheologie befreien
Was sind böse und beschämende Taten? Sie müssen sich in dieser Hinsicht von der bekannten Moraltheologie befreien; (…) »die bösen und beschämenden Taten« betreffen in diesem Zusammenhang (…) die unheilvollen Folgen (…) ,die durch Eifersucht, Leidenschaft, Hass, üble Nachrede, Kritik, Konflikt und dergleichen entstehen. Ägyptische Urgnosis Band 1, S.87
60. Doch ich halte mich fern von den Törichten, den Schlechten, den Verdorbenen, den Abgünstigen, den Habsüchtigen, den Mördern und den Gottlosen; ich überlasse sie dem rächenden Dämon, welcher solche Menschen mit der Geißel des Feuers bearbeitet, es so in ihre Sinne treibt und sie dadurch noch mehr zu unheiligen Taten anspornt, damit an ihnen eine noch größere Strafe vollzogen werde. Die Begierde dieser Menschen sucht dann auch fortwährend größere Befriedigung und lässt sie in der Finsternis wüten, ohne dass sie gesättigt werden kann. Darin besteht ihre Qual, und dadurch lodert die Flamme, die sie versengt, immer höher.«
Kommentar Ägyptische Urgnosis Bd. 1: Das Ziel des Geistes
(…) im Vers 60 wird klargestellt, in welchen Menschentypen die Seele niemals geboren wird; zu denen Pymander dann auch niemals sprechen kann. (…) Und wenn das Seelenfeuer nicht läuternd, nicht befreiend wirksam sein kann, dann wirkt es, wie Pymander sagt, immer strafend (….). Das ist der Weg der bitteren Erfahrung. (…) Dieser ganze lange Erfahrungsweg (…) hat kein anderes Ziel, als schließlich den Geist triumphieren zu lassen. Ägyptische Urgnosis Band 1, S.88-90