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Der stille Gefährte

Die Botschaft ist jedem nah, so nah, dass sie meist nicht erkannt wird.

Im Menschenherzen existiert ein Gefährte, der bei der Suche helfen will. Aber man muss sich ihm anvertrauen. Erfahrungsbericht einer sehr persönlichen Beziehung.

Er war immer bei mir. Wann es angefangen hat, weiß ich nicht mehr. In meiner Erinnerung war dieser stille Gefährte ein Teil meiner selbst. Als ein von mir getrenntes Wesen habe ich ihn früher nicht empfunden. Dass er nicht mein Eigen ist und mich auch verlassen kann, habe ich erst mit 19 Jahren erfahren.

Vergessen, verloren, stumm

Eingetaucht in den zähen Rhythmus stupider Arbeit ohne Gedanken über die Bedeutung der Dinge, die mir begegneten, habe ich sein Verschwinden gar nicht bemerkt. Erst als ein Freund, mit dem ich gern philosophierte, mir einen Brief schrieb, in dem er mir etwas über Hermann Hesse mitteilen wollte - unseren gemeinsamen damaligen Lieblingsautor - merkte ich, dass mein innerer Gefährte, für den die Worte Hesses gedacht waren, fort war. Ich verstand zwar, was mein Freund meinte, doch gab es zu den Worten keinen Widerhall in meinem Inneren. Dort war es plötzlich tot.

Ich bekam Angst. Zum ersten Mal fühlte ich mich im Herzen leblos. Ich rief nach meinem Gefährten - und erkannte: Er war nicht fortgegangen - sondern ich hatte ihn vergessen, all die langen Wochen. Er war stumm geworden. Denn ich hatte das Zwiegespräch mit ihm nicht gesucht. Nie wieder wollte ich ihn so verlassen.

Akzeptiert als Gefährten

Seither habe ich ihn immer bei mir. Aber ich habe ihn, der mich drängt und der in meiner Brust ein Ziehen auslöst, nicht immer geliebt. Ich habe ihn auch nicht immer erkannt. Er hat mich mit vielen Ereignissen in meinem Leben auf etwas hinweisen wollen, was ich nicht verstanden habe. Aber er hat mir immer wieder eine Chance gegeben. Und irgendwann ist er mein Freund geworden. Ich habe ihn akzeptiert als meinen Gefährten. Einer, der immer bei mir ist, der mich niemals im Stich lässt und der mich besser kennt als ich mich selbst.

Mit seinem Drängen hat er mich geführt. Und doch habe ich mich oft gewehrt, weil ich glaubte, besser zu wissen, wohin der Kompass meines Lebens zeigt. Es hat lange gedauert, bis ich begriff: Je weniger ich mich einmische, desto besser kann er atmen und wachsen. Je mehr er atmen und wachsen kann, desto mehr kann ich meinen Weg erkennen - und auf Dinge reagieren auf eine Art, die mir bisher fremd war. Denn mein Gefährte ermöglicht es mir, Menschen anders zu begegnen, als ich es ohne ihn tun würde. Er schenkt Nachsicht, Demut und oft innere Ruhe. Er verwandelt mich.

Die Kompassnadel zeigt nach Hause

Sein ziehendes Drängen hat nachgelassen, seit er Raum hat in meinem Inneren. Dafür erwacht eine neue Zufriedenheit mit dem Leben, die ich so nicht kannte. Nicht weil alles in mir in Frieden ist, sondern weil die Kompassnadel meines Lebens sich nicht mehr wild um sich selbst dreht. Durch meinen Gefährten hat das Leben eine Richtung bekommen. Klar. Einfach. Unabweisbar. Die Kompassnadel zeigt nach Hause - nach seinem Zuhause. Dazu hat mich mein Gefährte von Anfang an gedrängt. Er existiert in einer Dimension, zu der ich nicht gehöre. Zur Ewigkeit habe ich keinen Zutritt.

Aber um dorthin zu gelangen, braucht mein Gefährte mich. Er braucht meine Entscheidung, um mein ganzes Leben und mich selbst zu verändern. Meine Kompassnadel muss in seine Richtung zeigen. Sonst zieht er sich wieder zurück. Er braucht den Liebesstrom Gottes, in dem er aufblühen und wachsen kann. Und je mehr ich der Stimme meines Gefährten folge, je mehr ich handle, wie er es gut heißen würde, um so stärker fließt diese Liebeskraft. Zu dieser Quelle des Lichts trage ich ihn immer wieder, dafür nehme ich mir Zeit - und mein stiller Gefährte verwandelt mich. Langsam, ganz langsam.

Ein Hauch von Ewigkeit

Es ist Erleichterung, ein wenig vom eigenen Ich frei zu werden - und manchmal auch einen Hauch von Ewigkeit im eigenen System zu spüren. Es gibt die Momente, in denen der Himmel im Inneren ein Stück weit aufreißt und für einen Augenblick ein größerer Zusammenhang aufblitzt. Der ist nicht festzuhalten, aber er prägt sich ein ins Wesen und hinterlässt einen präzisen Abdruck. Die Erinnerung daran hilft, wenn sich die Kompassnadel im Gewirr des Alltags zu verlieren droht.

Mein stiller Gefährte hat mir eine Welt eröffnet, die ich bewusst zwar kaum wahrnehmen kann, aber von der ich innerlich weiß, dass sie echte Heimat ist. Dorthin wird er irgendwann gehen, denn dort ist sein Zuhause. Doch mein Gefährte wird mich nicht verlassen. Ein Stück von mir wird er mitnehmen - den Teil, den er verwandelt hat.