Sind wir ein Volk der Gottlosen? Wenn wir die Gottlosen mit den Konfessionslosen gleichsetzen, dann bilden sie die größte Gruppe in Deutschland. 29,6 Millionen Menschen sind ohne Religionszugehörigkeit – das sind 36,6 Prozent der Deutschen. Dann folgen die Katholiken mit 29,6 Prozent (23,9 Millionen) und schließlich die Mitglieder der evangelischen Kirche mit 28,2 Prozent (22,8 Millionen). Das war einmal anders. Die evangelische Kirche stellte 1990 noch 36,9 Prozent der Bevölkerung (29,4 Millionen Menschen) – und damit die größte Gruppe. Der katholischen Kirche gehörten 1990 noch 35,4 Prozent der Deutschen an. Heute hingegen sind die meisten Deutschen ohne Konfession. Wenn sie damit gottlos sind, dann müssen wir fragen: was kommt nach Gott?
Eine Generation – so frei wie nie zuvor
Gott hat sich in den letzten 20 Jahren aus vielen deutschen Wohnzimmern verabschiedet. Die Generation der heute 40-Jährigen hat zwar noch gesehen, wie bei Oma das Holz-Kreuz mit der Jesus-Figur über dem Bett hing und ist sonntags mit in die Kirche gegangen. Aber schon als Jugendliche wollte diese Generation lieber in den Ethik-Unterricht als in die Religionsstunde – und zahlte später die Kirchensteuer mehr aus Gewohnheit, denn aus Überzeugung. Religion war vor 20 Jahren noch fixer Bestandteil des Lebens, aber kein einflussreicher.
Die Kinder der heutigen Eltern-Generation wachsen indes nicht mit der Bibel auf, nicht mit Gott. Sondern frei. Frei von Dogmen und Ritualen, aber auch frei von Werten. Sie können glauben, was sie wollen. Aber natürlich gibt es wie immer auch eine Gegenbewegung. Oft sind es diejenigen, die in die hartnäckig religiöse Ecke der Gesellschaft gehören. Die genau wissen, was richtig und was falsch ist. Die eingeübte Lehrsätze gebetsmühlenartig wiederholen. Unerschütterlich, immer wieder – und manchmal bis zum Aussetzen der Ratio.
Gott ist für eine zunehmende Zahl von Menschen überflüssig in einer Welt, in der es wissenschaftliche Erklärungen für fast alle Phänomene gibt. In der es mehr Wissen gibt als jemals zuvor. Gott ist überflüssig als eine übermenschliche Instanz, zu der jemand aufblickt und die entscheidet, was Recht und Unrecht ist. Gott als etwas außerhalb vom Menschen zu begreifen, zu ihm als Überwesen aufzusehen ist kein zeitgemäßer Umgang mehr. Dazu hat sich der Mensch zu weit entwickelt als eigenständiges Wesen; in seiner hochmütigsten Ausprägung denkt er gar, er sei Gott gleich. Wozu sollte der Mensch dann noch einen Gott brauchen?
Gott hat nur noch eine Berechtigung
Der Mensch braucht ihn, um Liebe zu spüren, die über die Liebe für den Partner hinaus reicht, um die Liebe zu fühlen, die ehrlich ist und innerlich aufrichtig – auch seinen Feinden gegenüber. Das ist etwas, was ein Mensch nicht kann. Auch wenn er sich noch so sehr müht und kultiviert. In ihm wohnt immer auch der Gegenpol der Liebe, der Hass. Der eine Mensch kann ihn mehr bändigen, der andere weniger. Doch die dunkle Seite gehört zum Menschen genauso wie die helle.
Gott als konfessionelle Instanz abzulegen bedeutet, ihm eine neue Berechtigung zu geben. Gott muss im Menschen gefunden werden. Nun gibt es kaum jemanden, der behaupten würde, ihn in sich gefunden zu haben – und wenn doch, dann zählt er für seine Mitmenschen schnell zu den Spinnern. Und das vielleicht zu Recht. Denn wenn Gott wirklich in einem Menschen einen Ankerpunkt gefunden hat, dann schweigt er darüber. Denn der Umgang mit Gott liegt im Verborgenen. Er ist so mächtig, dass es kaum Worte dafür gibt.
Kein Wesen, aber eine Kraft
Diesen Gott in sich zu finden, dazu gibt es so unterschiedlich viele Wege wie es Menschen gibt. Aber Gott selbst ist immer derselbe – nicht als Wesen betrachtet, sondern als Kraft. Sie löst bei jedem Menschen etwas anderes aus. Diese Kraft zu erkennen, ihr in sich Platz zu lassen, sich auf diese Kraft einzuschwingen und sie zum Leitmotiv seines Lebens zu machen – das ist Gott in unserer heutigen Zeit. Somit kommt nach Gott eine tiefe Gelassenheit, die im menschlichen Wesen Raum greift. So wird der Mensch nicht zu Gott, aber er lässt sich von ihm verwandeln.